Profilbild von Havers

Havers

Lesejury Star
offline

Havers ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Havers über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 31.01.2024

Amerikas Hund

Demon Copperhead
0

Ein entlarvender Blick auf das „Land of the Free and Home of the Brave“: In den Appalachen gibt es mittlerweile “zwischen 15 und 35 Prozent Kinder, die nicht von ihren Eltern großgezogen werden, weil sie ...

Ein entlarvender Blick auf das „Land of the Free and Home of the Brave“: In den Appalachen gibt es mittlerweile “zwischen 15 und 35 Prozent Kinder, die nicht von ihren Eltern großgezogen werden, weil sie abhängig, im Knast oder tot sind“, so Barbara Kingsolver in einem Interview im Juli 2023. Kinder ohne Zukunft, die von Geburt an chancenlos sind, von staatlichen Institutionen auf ihrer Reise durch das amerikanische Pflegesystem verwaltet werden. Ihnen gibt Barbara Kingsolver eine Stimme in ihrem mit zahlreichen Preisen ausgezeichneten neuen Meisterwerk „Demon Copperhead“, in dem sie, inspiriert von Charles Dickens‘ David Copperfield, einerseits scharfe Kritik an diesem herzlosen System einer gespaltenen Gesellschaft übt, andererseits aber auch mit den strukturschwachen Appalachen eine Region in den Fokus rückt, deren Bewohner geringschätzig wahlweise als Hinterwäldler oder Hillbillys bezeichnet werden. Auch für diese Menschen und ihre Lebensweise bricht die Autorin eine Lanze, ist sie doch im ländlichen Kentucky an den Ausläufern der Appalachen aufgewachsen.

Demon aka Damon Fields hat keine guten Startbedinungen. Geboren von einer achtzehnjährigen Drogenabhängigen in einem Trailer in Lee County, West Virginia, eine Region, die Schaden genommen hat, durch den Wegzug der Kohleindustrie wirtschaftlich am Boden liegt. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, aber die Zahl der Suchtkranken ist um ein Vielfaches höher. Keine Perspektive für niemanden, insbesondere für die Kinder und Juegendlichen. Was allerdings noch immer funktioniert, ist der Zusammenhalt, ein Verdienst der älteren Generation, die ihre Heimat lieben und die alten Werte der Appalachen bewahrt haben. Die sich kümmern und einspringen, wenn sonst niemand mehr da ist. Aber auch das bewahrt Demon nicht vor den schmerzhaften Erfahrungen, die der Elfjährige nach dem Tod seiner Mutter nach einer Überdosis machen muss und auch bei ihm schließlich in die Sucht münden.

Das alles beschreibt Kingsolver in beeindruckender Weise und weckt damit Verständnis für ihre ehemalige Heimat. Aber sie lässt uns auch ihre unbändige Wut über das systemische Versagen der Regierung in allen Bereichen spüren, klagt im gleichen Atemzug die Gier und Rücksichtslosigkeit der Pharmaindustrie an, die skrupellos mit Opioiden ihre Profite auf dem Rücken der Ärmsten macht und ganze Regionen in den Abgrund zieht.

Jetzt schon mein Highlight des Jahres, dem ich viele Leser wünsche!

Nachtrag: Zur Vertiefung des Themas empfehle ich in gedruckter Form „Hillbilly-Elegie“ von J.D. Vance und „Dopesick“ von Beth Macy. Beide Bücher auch verfilmt und unter den gleichen Titeln bei Streamingdiensten abrufbar. Ebenfalls einen ungeschönten Eindruck vom Leben im ländlichen Kentucky (hier Harlan County) vermittelt Elmore Leonards „Raylan“, als mehrteilige Minisierie unter dem Titel „Justified“ verfilmt.

Veröffentlicht am 23.01.2024

Was geschah auf der neunzehnten Insel?

FEUER - Mord auf den Färöern
0

Im Vorgänger „Nacht. Die Toten von Jütland“ waren zwar interessante Ansätze vorhanden, letztlich überzeugen konnte diese aber nicht. Nun die Fortsetzung „Feuer. Mord auf den Färöern“, Mittelband der Trilogie, ...

Im Vorgänger „Nacht. Die Toten von Jütland“ waren zwar interessante Ansätze vorhanden, letztlich überzeugen konnte diese aber nicht. Nun die Fortsetzung „Feuer. Mord auf den Färöern“, Mittelband der Trilogie, und der hat es in sich.

Das Treffen von fünf Priestern in einer Kirche auf den Färöern endet in einem Blutbad, vier Tote, der Fünfte spurlos verschwunden. Mord oder kollektiver Selbstmord? Um die örtliche Polizei bei ihren Ermittlungen zu unterstützen, schickt die Task Force 14 Lucas Stage auf die Insel. In diesem Fall die Hauptfigur, aber noch immer kein Sympathieträger. Ihm zur Seite gestellt ist die Gerichtsmedizinerin Sidsel Jensen, dort geboren und aufgewachsen und mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut. Sie nimmt den Auftrag nur widerwillig an, hat sie doch als Dreizehnjährige mit ihrer Mutter die Färöern verlassen, alle familiären Kontakte abgebrochen und nie mehr zurückgeblickt.

Das Zusammenspiel der dänischen Ermittler funktioniert gut, wobei allerdings die privaten Interaktionen auf ein Minimum beschränkt bleiben. Ein wesentlicher Teil der Spannung speist sich allerdings aus den Backstories der beiden. Sie haben Geheimnisse, etwas zu verbergen, wobei der Autor immer wieder kleine Andeutungen einstreut, die Vermutungen bestätigen und nach und nach ein halbwegs rundes Bild ergeben.

Die Färöer sind ein unverbrauchtes Setting, was es dem Autor leicht macht, mit atmosphärischen Beschreibungen der Insel zu punkten. Die grandiose Landschaft, die Traditionen der Bewohner, das Abschlachten der Grindwale, die Enge der Täler, die sich bis tief in die Köpfe der Menschen fortsetzt. Und überall die Präsenz eines religiösen Fanatismus, der die Ermittlungen für Stage und Jensen nicht unbedingt erleichtert.

„Feuer“ (Originaltitel: Die neunzehnte Insel) ist eine mehr als gelungene Fortsetzung, die mit einem überraschenden, unvorhersehbaren Paukenschlag endet, weshalb ich den Abschlussband mit Spannung erwarte.

Veröffentlicht am 21.01.2024

Der große Coup der Mrs King

Mayfair House
0

In der Verlagsvorschau wird Alex Hays „Mayfair House“ mit Hinweis auf „Ocean’s 8“ und „Downton Abbey“ beworben, wobei ich bei ersterem durchaus mitgehen kann. Bei den historischen Kostümserien wird das ...

In der Verlagsvorschau wird Alex Hays „Mayfair House“ mit Hinweis auf „Ocean’s 8“ und „Downton Abbey“ beworben, wobei ich bei ersterem durchaus mitgehen kann. Bei den historischen Kostümserien wird das aber schon schwieriger, denn dort wird das Verhältnis zwischen Oben und Unten geprägt von gegenseitiger Loyalität, was im Haushalt der wohlhabenden Familie de Vries nach dem Tod des Patriarchen offenbar nur in eine Richtung gegeben und gefordert ist. Die Erbin des Hauses in der Park Lane, Miss de Vries, ist nämlich eine lupenreine Vertreterin der Londoner Upper Class, die eiskalt und ohne mit der Wimper zu zucken kein Problem damit hat, langjährige Bedienstete vor die Tür zu setzen.

So wird auch Mrs King, die langjährige Haushälterin, unter einem fadenscheinigen Vorwand entlassen. Eine Entscheidung, die der Dame des Hauses noch gehörig auf die Füße fallen wird, denn Mrs King ist nicht gewillt, ihre Entlassung einfach so hinzunehmen, denn es gibt ganz besondere Gründe, warum sie es so lange in ihrem Dienstverhältnis ausgehalten hat. Und offenbar ist nun die Zeit gekommen, ihren verwegenen Plan mit der Hilfe einer Gruppe starker Frauen in die Realität umzusetzen…mehr möchte ich hier aber nicht verraten.

„Mayfair House“ ist die Geschichte einer Rache und deren Motive, die in einem ausgeklügelten Raubüberfall enden wird. Zwar nimmt den Großteil der Handlung die detaillierte Schilderung dieser Vorbereitungen ein, was zur Folge hat, dass die Beschreibung und Charakterisierung der Personen etwas in den Hintergrund tritt. Aber eigentlich stört das nicht weiter, da man mit wachsender Spannung im letzten Drittel verfolgt, ob sich der verwegene Plan der Frauen in die Realität umsetzen lässt.

Zum Schluss noch kurz zur historischen Einordnung: London, 1905. Queen Victoria ist tot, Edward VII. zum König gekrönt. Die Menschen sind den Mief der viktorianischen Ära leid, eine neue Leichtigkeit hält Einzug, das Streben nach Fortschritt und Reformen erwacht. Auch die Frauen erheben ihre Stimmen, haben Forderungen. Allen voran Emmeline Pankhurst mit der 1903 gegründeten WSPU, der Women’s Social and Political Union. Auch wenn es noch mehr als ein Jahrzehnt dauern wird, bis ihre Forderungen (Wahlrecht) erfüllt werden, zeigt sich doch, dass es schon damals Frauen wie Mrs King gab, die gewillt waren, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Veröffentlicht am 07.01.2024

KIllers of the Flower Moon

Das Verbrechen
0

Ab den nächsten Tagen ist „Killers of the Flower Moon“ bei einem Streamingdienst auch in Deutschland verfügbar. Eine gute Gelegenheit, um auf David Granns True-Crime-Thriller „Das Verbrechen“ hinzuweisen, ...

Ab den nächsten Tagen ist „Killers of the Flower Moon“ bei einem Streamingdienst auch in Deutschland verfügbar. Eine gute Gelegenheit, um auf David Granns True-Crime-Thriller „Das Verbrechen“ hinzuweisen, der die mysteriösen Morde an den indigenen Osage in Oklahoma zum Thema hat und die Vorlage für den Film liefert.

Ich habe das Buch kurz nach Erscheinen 2017 erstmals gelesen. Damals waren in den Nachrichten Bilder von den Protesten gegen die Verlegung der Öl-Pipeline durch das Stammesterritorium der Standing Rock Sioux allgegenwärtig. Heiliger Boden wurde entweiht, die Wasserversorgung zerstört, weil die Profitinteressen der Betreiberfirma (an der auch der damalige US-Präsident beteiligt war) an erster Stelle standen und die Besitzer des Landes ihrer Rechte beraubten.

Es war also ein guter Zeitpunkt, zu dem David Granns True Crime-Story „Das Verbrechen“ erschien, zeigte es doch, dass sich in den Vereinigten Staaten nichts am Umgang mit den Indigenen geändert hat. Vor allem dann, wenn wirtschaftliche Interessen im Spiel sind. Man muss sich nur die Vorgehensweise der Regierungsorganisationen ansehen: Ein wertloses Stück Land wird zum Reservat erklärt, der Stamm umgesiedelt, aber wehe, es werden Bodenschätze jedweder Art auf dem Gebiet vermutet, dann setzt man alles daran, die Bewohner zu vertreiben.

Ähnliches geschah zwischen 1910 und 1930 in Oklahoma im Reservat der Osage-Indianer. Es stellte sich heraus, dass der Stamm auf einem unvorstellbar großen Ölfeld saß, dessen Erträge den Menschen ungeahnten Wohlstand bescherte. Das ging solange gut, bis Außenstehende bzw. Nicht-Stammesangehörige darauf aufmerksam wurden. Und plötzlich häuften sich die mysteriösen Todesfälle unter den Osage, Dutzende fielen ihnen zum Opfer. Wer nun aber glaubt, dass man von Regierungsseite alles unternommen hätte, um diese Mordserie aufzuklären, täuscht sich. Im Gegenteil.

In der besten Tradition des amerikanischen Reportage-Journalismus, wie wir ihn beispielsweise von Jon Krakauer kennen, hat sich David Grann diesem Thema genähert und die Osage-Morde in seinem Buch „Das Verbrechen“ näher betrachtet. Er ordnet die Vorgänge in drei Bereiche: Im Zentrum des ersten Teils stehen die Osage-Frauen, repräsentiert von Mollie Burkhardt und ihrer Familie, die fast ausnahmslos der Mordserie zum Opfer fallen. Teil zwei schildert die Ereignisse aus der Sicht von Tom White als Vertreter des neu gegründeten Federal Bureau of Investigation (FBI) und zeigt, dass diese Institution weit davon entfernt ist, den Osage Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Im Gegenteil, auch die Vertreter des FBI sind vornehmlich bestrebt, sich die Taschen zu füllen. Und im dritten Teil schließlich beschreibt der Autor seine Recherche, die ihn zweifelsfrei zu dem Schluss kommen lässt, dass die Zahl der Opfer unter den Osage um ein Vielfaches größer als bisher angenommen und bekannt ist.

Granns Buch geht schonungslos ins Detail, zeigt die Skrupellosigkeit der Beteiligten, ist dabei komplex und fordert zu jedem Zeitpunkt die Aufmerksamkeit des Lesers. Ein spannendes Sachbuch, das einmal mehr ein beschämendes, schmutziges Kapitel der amerikanischen Historie ans Licht bringt. Lesen!

Veröffentlicht am 10.12.2023

With a little help from the friends

Spy Coast - Die Spionin
0

Ehemalige Spione im Rentenalter? Scharfsinnige Senioren, die auf eigene Faust ermitteln? Das war doch was? Richtig, die erfolgreiche Donnerstagsmordclub-Reihe des englischen Autors Richard Osman. Und jetzt ...

Ehemalige Spione im Rentenalter? Scharfsinnige Senioren, die auf eigene Faust ermitteln? Das war doch was? Richtig, die erfolgreiche Donnerstagsmordclub-Reihe des englischen Autors Richard Osman. Und jetzt gibt es mit Tess Gerritsens „Spy Coast – Die Spionin“ das amerikanische Pendant dazu. Aber während die Krimihandlung bei den englischen Ruheständlern immer wieder durch humorvolles Geplänkel unterbrochen wird, bleibt Gerritsen, wie wir es auch von ihren Rizzoli & Isles Büchern kennen, nah am eigentlichen Fall.

Im Zentrum steht Maggie Bird, eine ehemalige CIA-Agentin, die nach ihrer aktiven Zeit in eine verschlafene Kleinstadt in Maine gezogen ist und dort mittlerweile eine Hühnerzucht betreibt. Wenn sie keine Eier sortiert oder Ställe ausmistet, trifft sie sich mit vier Freunden, allesamt ebenfalls Ex-Spione, zu einem gepflegten Martini in geselliger „Buchclub“ Runde, allesamt Ex-Spione wie sie, zu einem gepflegten Martini in geselliger „Buchclub“ Runde. Sie hat mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen und möchte nur noch ein ruhiges Leben und ihren unspektakulären Ruhestand genießen. Ein frommer Wunsch, das wird Maggie spätestens dann klar, als eine ihr unbekannte Besucherin vor ihrer Tür steht und sie nach Informationen zu einer ehemaligen Kollegin fragt, mit der sich ihre Wege vor langer Zeit gekreuzt haben. Ihre Tarnung ist aufgeflogen, bleibt nur noch die Frage, ob das für ihr weiteres Leben Konsequenzen hat. Die Antwort darauf gibt die Leiche der Besucherin, die am folgenden Tag in der Einfahrt liegt. Und mit eine Schlag löst sich Maggies Illusion, sie könnte der Vergangenheit entkommen, in Luft auf. Es ist an der Zeit, auf die Bühne zurückzukehren und sich mit Unterstützung der Freunde dieser erneuten Herausforderung zu stellen.

Einmal mehr zeigt Tess Gerritsen, welche Zutaten einen unterhaltsamen Thriller auszeichnen, der weitestgehend auf die Schockmomente physischer Gewalt verzichtet: Keine Superhelden, sondern sympathisches Personal mit Ecken und Kanten, bis in die Nebenrollen detailliert ausgearbeitet (siehe die stellvertretende Polizeichefin Jo Thibodeau oder Maggies Nachbar Luther und dessen Enkelin Callie). Eine auf zwei Zeitebenen angelegte Story mit Cliffhangern, die zum zügigen Weiterlesen animieren. Und last but not least mit dem ländlichen Maine ein unverbrauchtes Setting, wunderbar beschrieben, was jede/r bestätigen wird, die/der es aus eigener Anschauung kennt.

Der gelungene Auftakt einer neuen Reihe, auf deren Fortsetzung wir hoffentlich nicht allzu lange warten müssen (im Original ist bereits Band 2 „The Summer Guests“ für 2025 in Planung).