Natalie Amiri liebt, was sie tut. Das spürt und liest man als Leser:in zwischen den Zeilen.
"Als Journalistin kann ich die Politik kaum verändern, aber ich kann zumindest darüber berichten, was andere nicht haben, damit uns die Freiheit, die wir haben, bewusst wird. Und wir sie wieder schätzen ...
"Als Journalistin kann ich die Politik kaum verändern, aber ich kann zumindest darüber berichten, was andere nicht haben, damit uns die Freiheit, die wir haben, bewusst wird. Und wir sie wieder schätzen lernen."
Natalie Amiri liebt, was sie tut. Das spürt und liest man als Leser:in zwischen den Zeilen. Und das trotz aller Risiken, die ihr Beruf als Journalistin mit sich bringt. Der Iran befindet sich auf der 2020 von 'Reporter ohne Grenzen' veröffentlichten Liste für Pressefreiheit auf Platz 173 von 180 Ländern. "Wir sind der Feind. Auf jeder Pressekonferenz, jeder Demonstration oder bei einem Dreh auf der Straße hat man uns das spüren lassen" , so Amiri. Trotzdem hat sie zwischen 2015 und 2020 fünf Jahre lang als ARD-Büroleiterin von Teheran aus berichtet. Über Themen, die in der Islamischen Republik tabu sind. Über eine Gesellschaft, die zwei Leben parallel führt - das offizielle und das verbotene.
Im Buch erzählt sie aber nicht nur von ihrer Rolle als (weibliche) Journalistin im Iran. Als Leser:in bekommt man Zahlen, Daten und Fakten immer in Verbindung mit persönlichen Erlebnissen, Erfahrungen oder kurzen Anekdoten der Autorin präsentiert. Und lernt so quasi nebenbei mehr über das paradoxe Verhältnis des Iran zu Amerika, Israel, Großbritannien und 'dem Westen'; die Rolle der Frauen, die Bedeutung von Social Media (!) und der Religion(en). Laut einer Umfrage vom Sommer 2020 bezeichnen sich nur noch rund 30% der iranischen Bevölkerung als Muslim:innen.
Aber auch über kulturelle Gegebenheiten (Taarof), die Gastfreundlichkeit und Herzlichkeit der Menschen wird im Buch berichtet. Natürlich lässt sich die aktuelle Lage im Iran nicht ohne einen Blick in die Vergangenheit erklären. Daher kommen auch Geschichtliches und die Politik nicht zu kurz. Ebenso wird die angespannte wirtschaftliche Lage und die Bedeutung der anhaltenden Sanktionen (gescheitertes Atomabkommen) für die iranische Bevölkerung verdeutlicht. Eine Bevölkerung, von der laut Schätzungen ein Viertel unter Depression leidet und in der die Zahl der Drogen- und Alkoholabhängigkeit sowie die Suizidrate nie höher waren als jetzt. Dies sind "die Folgen eines aufgezwungenen schizophrenen Lebensstils verursacht durch das iranische Regime. Man hält die Bevölkerung in Schach, sie beschäftigt sich permanent mit der täglichen Angst, ein Delikt zu begehen. So konnte/kann man sie auch davon abhalten, sich um die großen politischen Fragen zu kümmern und das gesamte System in Frage zu stellen."
"'Hagh gereftani ast - na dadani", ein persisches Sprichwort, das sagt: Rechte werden nicht gewährt, man muss sie erkämpfen. Und genau dazu möchte die Autorin mit ihrem Buch beitragen. Die Situation nicht beschönigen, aber auch nicht in Ohnmacht verfallen, den mutigen Menschen im Iran, allen voran den Frauen, eine Stimme geben und sie nicht in die Opferrolle zwängen. Natalie Amiri, die es versteht, sich zwischen den Welten zu bewegen und vermitteln. "Eine "Kriegsreporterin mit sehr viel Mut in einem Krieg, den man nicht sieht."
Mich hat das Buch jedenfalls begeistert. Ich durfte eine Achterbahn der Gefühle durchleben, die mich gleichzeitig aufgerüttelt, traurig gemacht und zum Lachen gebracht hat. Der Schreibstil der Autorin ist sehr verständlich, klar und ohne Verschnörkelung auf den Punkt gebracht. Einziges Manko (aus meiner Sicht): Auf das Gendern wird ohne Erklärung verzichtet.