Herausfordernde Message
Ich wollte dieses Buch lesen, da mir der Begriff Dekonstruktion präsent ist und ich lernen wollte, wie man damit umgehen kann, wenn man Dekonstruierenden begegnet. Eine Rezension zu diesem Buch zu schreiben, ...
Ich wollte dieses Buch lesen, da mir der Begriff Dekonstruktion präsent ist und ich lernen wollte, wie man damit umgehen kann, wenn man Dekonstruierenden begegnet. Eine Rezension zu diesem Buch zu schreiben, fällt mir nun aber sehr schwer. Da ich kein studierter Theologe oder Apologet bin, kann ich manches von dem, was der Autor an Argumenten anführt, nicht vollständig beurteilen. Andere Rezensionen, gerade von reformierten Theologen, sind ablehnend. Ich gehöre der gleichen Denomination an wie der Autor, kann somit aber auch vieles nachvollziehen.
Ich schildere meine subjektiven Empfindungen und was ich für mich persönlich aus dem Buch mitnehmen konnte:
Das Buch ist in einer leicht verständlichen Sprache geschrieben. Nach einem „Plädoyer für die Dekonstruktion“ findet sich in Teil 1 des Buches das“ Warum“ für die Dekonstruktion und in Teil 2 eine „Vier-Schritte-Methode zum Dekonstruieren“. Das Fazit: „Ein Christentum für unsere Kinder“ beschließt das Buch.
Ich konnte dem Autor abspüren, dass er ein unglaubliches Verlangen danach hat, dass Christen und Nichtchristen in einen gesunden Dialog kommen. Dass theologische Ansichten, Dogmen und Praktiken nicht auf den anderen übergestülpt werden und der Person damit der Glaube abgesprochen wird, nur da sie nicht ins eigene Bild vom Christen passt. Beziehungen, in denen Vertrauen herrscht, sind der Rahmen, der es ermöglicht, dass Menschen mit Gottes Liebe in Berührung kommen. Den Autor schmerzt es, dass Menschen in der Institution Kirche verletzt werden und von Gott weglaufen.
Im Buch kommen Personen zu Wort, die ihren Glauben dekonstruiert haben. Ich fand diese Geschichten interessant zu lesen und dahingehend ausschlussreich, was Gründe für eine Dekonstruktion und ein Abwenden, gerade vom Evangelikalismus, sein können.
Ein ganz großer Punkt, den ich, während dem Lesen dieses Buches gelernt habe, ist, dass ich eine falsche Vorstellung davon hatte, was Dekonstruktion ist. Ich dachte, es bedeutet den christlichen Glauben zu zerlegen und sich dann vom Glauben abzuwenden.
Ulmer definiert Dekonstruktion jedoch anders. Dekonstruktion ist nicht gleich Destruktion! Es bedeutet Fragen zu stellen, Praktiken zu hinterfragen und Zweifel auch mal zuzulassen. Den eigenen Glauben zu dekonstruieren, um Jesus zu finden und ein festes Fundament zu bauen. Den übernommenen oder übergestülpten Glauben abzulegen. Es ist wichtig die Dinge zu dekonstruieren und loszuwerden, wo Menschen die Bibel dafür missbrauchen, um Macht über andere auszuüben.
Wer jedoch dekonstruiert muss auch rekonstruieren. Und er muss bereit sein sich der Autorität Jesu zu unterstellen und umzusetzen, was Er einem zeigt. Ulmer stellt die These auf, dass Jesus selbst ein Dekonstruierender gewesen sei, da er die Dinge, die von der religiösen Führung missbraucht wurden, aufzeigte und wegtat. Mit diesem Titel für Jesus hatte ich persönlich jedoch teilweise Probleme. Die grundlegende Intention des Autors meine ich aber verstanden zu haben.
Dekonstruktion ist ein natürlicher Teil unseres Glaubenslebens, es ist wie das Unkraut jäten im eigenen Garten, so der Autor. Wenn ich meinen eigenen Glaubensweg reflektiere und diese Definition von Dekonstruktion anwende, dann habe ich meinen Glauben wohl auch schon dekonstruiert.
Schwierigkeiten hatte ich bei den folgenden Punkten:
Ulmer scheint alle Evangelikalen über einen Kamm zu scheren. Er teilt gegen sie aus und unterstellt ihnen einige Dinge, die ich so nicht sehen kann bzw. nicht für die Gesamtheit der Evangelikalen. Das war mir zu viel und zu verallgemeinernd. Auch das Ablehnen der Apologetik konnte ich nicht vollständig nachvollziehen, da ich sie als hilfreiches Werkzeug sehe, um Antwort auf manch eine Frage zu finden.
Die verschiedenen Geschichten der Personen zeigen auf, dass sie alle in ihren Gemeinden verletzt wurden. Diese Erfahrungen und Gefühle sind valide und müssen ernst genommen werden. Jedoch hatte ich das Gefühl, dass der Autor dafür plädiert, dass wir aufgrund der Liebe, die die Grundlage unseres Handelns sein muss, Wahrheiten der Bibel weglassen sollten, nur damit die andere Person nicht weiter in ihren Gefühlen verletzt wird. Ist zwar nicht so deutlich formuliert, schwang für mich aber zwischen den Zeilen so mit. Darum sehe ich die Gefahr, dass man sich sein eigenes Bild von Jesus bastelt, der so ist und liebt, wie wir es nach unseren menschlichen Standards der Toleranzvorstellung festlegen. Damit sich niemand ausgeschlossen oder schlecht fühlt, beugt man lieber das Wort Gottes.
Auf S. 155 wird eine Person wie folgt zitiert: „Ich lebe nach meinen Werten und meinem Glauben an Jesus.“
Das hat für mich das Problem aufgezeigt, dass vieles menschenzentriert ist. MEINE Werte und MEIN Glaube. Gott soll sich dem unterstellen; wo es mir nicht passt, wird er nicht beachtet. Wo ich es als lieblos empfinde, was die Bibel sagt, verwerfe ich es. Meine Erfahrung und Berichte von hunderten anderer Christen zeigen mir jedoch auf, dass wer Jesus wirklich begegnet ist, ein neuer Mensch ist, der seine Identität in Ihm sucht, und nicht mehr in persönlicher Selbsterfüllung, Sexualität oder sonstigem und der danach strebt nach Gottes Willen zu leben.
Ulmer kämpft mit den Paradoxien der Bibel. Ich auch oft und kann ihn da sehr gut verstehen. Seine Erkenntnis auf S.196 ist auch meine: „Je mehr ich dazu lerne, desto klarer wird mir, wie wenig ich weiß“.
Doch Glaube, gewirkt durch den Heiligen Geist, bedeutet Dinge zu glauben, auch wenn man sie nicht 100%-ig nachvollziehen und verstehen kann. Es bedeutet, dass wir „eine hohe Toleranz gegenüber Paradoxien in unserem Glauben entwickeln“ (S.194) und laut meiner Überzeugung auch Dinge tue und lebe, die gegen die gängige Meinung gehen. Wie genau Ulmer dazu steht, ist mir während der Lektüre nicht klar geworden.
Fazit:
Ein herausforderndes Buch, das uns Christen den Spiegel vorhalten möchte, damit wir unsere Einstellungen und Haltungen den Zweifelnden (Christen) gegenüber überdenken. Gleichzeitig fordert es uns auch heraus unseren eigenen Glauben auf ein festes Fundament zu stellen und nicht einfach nur Dinge zu übernehmen, ohne Fragen zu stellen. Denn nur wenn das Fundament stabil ist, wird es auch tragen, ohne zu bröckeln. Auch wenn es nicht in allem meinen eigenen Glaubensgrundsätzen entspricht, finde ich, dass man viel aus diesem Buch mitnehmen kann.