Adler sollen fliegen - weit und hoch und frei (PUR)
Ein Leben lang hat Theres gespürt, dass sie einfach anders ist, als es die Dörfler:innen von ihr erwarten. Statt brav und folgsam sich um Kinder, Küche und Kirche zu kümmern, kann sie den Gedanken nicht ...
Ein Leben lang hat Theres gespürt, dass sie einfach anders ist, als es die Dörfler:innen von ihr erwarten. Statt brav und folgsam sich um Kinder, Küche und Kirche zu kümmern, kann sie den Gedanken nicht ertragen, in genau diesem Käfig für immer gefangen zu sein. Draußen wartet die Freiheit und doch kann sie nicht aus ihrer Haut heraus. Helfen, Schmerzen lindern und den Übergang vom Diesseits ins Jenseits erleichtern und doch ist es nie genug. Als sie ein Kind unter ihrem Herzen trägt, scheint sich das Blatt kurzfristig zu wenden. Aber Geschichte wiederholt sich und manchmal muss eine gewisse Zeit vergehen, um zu erkennen, dass das Leben erst im Rückblick verstanden wird...
Mir fehlen die Worte, um all das zu beschreiben, was der Roman von Regina Denk in mir ausgelöst hat. Ein bild- & sprachgewaltiges Sittengemälde des ausgehenden 19. Jahrhunderts, das eindringlich und ungeschönt die sturen Denkweisen der Alpenbewohner:innen ans Tageslicht bringt. Armut, Hunger und die Gewissheit, all dem auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein,dringen nicht nur aus jeder Ritze in den Häusern, sondern sind allgegenwärtig beim Lesen, nimmt den Leser:innen mitunter den Atem und auch die Hoffnung, das manches sich zum Guten wendet.
Die Lesenden vergessen vollkommen das hier und Jetzt und stehen gemeinsam mit Theres und Maria vor der fast unlösbaren Aufgabe, inmitten von herrschenden Moral- und Ethikvorstellungen den eigenen Weg zu gehen, Ketten zu sprengen und das auszuhalten, was sich Leben nennt.
Die Handlung wird aus wechselnden Perspektiven erzählt, die Gegenwart und Vergangenheit gekonnt miteinander verbinden. Mittendrin Theres, die allen Widrigkeiten, Züchtigungen und Erniedrigungen sich zu einer starken Persönlichkeit entwickelt und diese Charakterzüge an ihre Tochter weitergibt. Auch wenn sie für manche hart und abgestumpft erscheinen mag, so wohnt in ihr drin ein gutes Herz, das sich nach nichts anderem sehnt, als endlich frei zu sein. Und immer wieder ist am Himmel ein Adlerweibchen zu sehen, das seine Gedanken für die Leser;innen zugänglich macht.
Daraus entsteht ein Bild, das sich nachhaltig einbrennt: oben kreist das Adlerweibchen - für uns Menschen der Inbegriff von Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung - und fühlt sich in seiner Freiheit eingegrenzt. Das Revier ist klar abgesteckt, der Verlust des Adlermännchens hat es es gebrochen und nach und nach geschwächt. Am Boden - und das im wahrsten Sinne des Wortes - eine Frau, die nichts mehr hat, außer sich selbst. Das Lächeln als einzige Wärmequelle.
Das ist Gänsehaut pur und ganz große Schreibkunst, aus solchen Bildern mit Worten die Emotionen herauszukitzeln, die mit voller Wucht und ohne Vorwarunng auf die Lesenden einstürzen und dabei Taschentuchmomente produzieren.
Der Roman lebt von seiner Authentizität, die sich nicht nur in Figuren und Schauplätzen widerspiegelt, sondern auch im gesprochenen und geschrieben Dialekt. Es entsteht ein Erzählkunstwerk, das sich sprachlich und inhaltlich auf höchstem Niveau befindet und ein echter Stern am Bücherhimmel ist.
Absolut lesenswert und ein Highlight 2024 !