Awadapquit/Maine. Jane Flanagan hat in einem verlassenen viktorianischen Haus direkt auf einer Klippe über dem Meer ihren persönlichen Zufluchtsort gefunden. Mit einer Alkoholikerin als Mutter und einer jüngeren Schwester, die immer im Vordergrund stand, hält sie es daheim kaum aus. Ihr Studium führt sie von Maine an die Universität Harvard, doch 20 Jahre später kehrt sie nach dem Tod ihrer Mutter zurück nach Awadapquit, um nicht nur deren Haus zur räumen, sondern auch Ordnung in die Trümmer ihrer eigenen Existenz zu bringen. Als die jetzige wohlhabende Besitzerin des alten Klippenhauses, Genevieve Richards, Jane bittet, mehr über die Geschichte des Hauses herauszufinden, erkennt Jane bei ihren Nachforschungen, dass diese auch viel mit ihrer eigenen Vergangenheit zu tun haben…
J. Courtney Sullivan hat mit „Die Frauen von Maine“ einen unterhaltsamen Roman vorgelegt, der neben einer komplizierten Familiengeschichte auch starke Frauen und viel gut recherchierten historischen Hintergrund über die amerikanischen Ureinwohner bietet. Der flüssige, farbenfrohe und empathische Erzählstil der Autorin nimmt den Leser schnell gefangen und lädt ihn auf eine Reise ein, die ihn neben der Gegenwart auch in die Vergangenheit führt, um die unterschiedlichsten Frauenschicksale kennenzulernen. Janes Kindheit war nicht glücklich, einzig ihr Geheimplatz am Klippenhaus hat ihr eine Atempause gegeben. Das Studium ermöglichte ihr die Flucht aus Maine, doch die Vergangenheit kann man auch nach vielen Jahren einfach nicht abschütteln. Obwohl sie verheiratet ist und einen gutdotierten Job hat, setzt sie mit ihrem Verhalten fast alles aufs Spiel. Die Rückkehr nach Maine soll Atempause sein und gleichzeitig nach dem Tod ihrer Mutter mit der Räumung deren Hauses einen Schlusspunkt setzen. Doch dann kommt es mit der Begegnung von Genevieve alles ganz anders. Sowohl sie als auch Jane sind eng mit dem Klippenhaus verbunden, und die Nachforschungen fördern einiges zutage, was Janes Leben auf den Kopf stellt. Sullivan versteht es hervorragend, ihren Protagonisten sowohl Stärken als auch Schwächen zu verleihen und Historie gekonnt einen Rahmen zu geben. Die Vielfalt der Themen ist gut miteinander verstrickt, allerdings stören die esoterischen Abschweifungen eher und nehmen der Geschichte deutlich einiges an Tiefe. Zudem ist der erste Teil leider sehr langatmig, hier muss der Leser sich wirklich durchkämpfen, etwas Straffung hätte hier gut getan.
Die Charaktere sind glaubwürdig mit menschlichen Ecken und Kanten versehen, so dass sie für den Leser authentisch wirken und diesen auf ihre Fährte locken. Jane ist eine zurückhaltende, intelligente und belesene Frau, die aufgrund ihres familiären Hintergrunds nicht nur mit Unsicherheiten und Einsamkeit zu kämpfen hat, sondern auch extrem misstrauisch geworden ist. Genevieve dagegen weiß genau, was sie will, dabei ist sie weltoffen und nicht so schnell zu verängstigen. Doch das alte Haus „atmet“ in ihren Augen etwas zu sehr und hinterlässt bei ihr ein ungutes Gefühl, dem sie sich gemeinsam mit Jane stellen will.
„Die Frauen von Maine“ vereint starke Protagonistinnen, unterschiedliche Familienschicksale sowie historischen Hintergrund miteinander, wobei viele Themen wie amerikanische Geschichte, Geheimnisse, Verlust und Trauer eingebracht werden. Etwas Straffung und weniger Esoterik hätten der Handlung allerdings gut getan. Verdiente Leseempfehlung!