Luxusprobleme oder echte?
Der Roman „Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen“ von Anna Brüggemann erzählt ein kompliziertes Mutter-Töchterverhältnis. Regina hat das Gefühl, ihr Leben vergeudet zu haben an ihren Mann und ihre ...
Der Roman „Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen“ von Anna Brüggemann erzählt ein kompliziertes Mutter-Töchterverhältnis. Regina hat das Gefühl, ihr Leben vergeudet zu haben an ihren Mann und ihre zwei Töchter. Sie hätte so viel erreichen können. Und das, obwohl ihre Eltern sie nie gefördert, noch nicht einmal beachtet haben. Reginas Mann ist ihr zu eintönig und langweilig, Antonia, ihre älteste Tochter, zu plump und passiv. Einzig Wanda, die jüngste, könnte vor den Augen der Mutter Gnade finden, sieht sie sich doch in ihr. Allerdings kreist Regina so narzisstisch um sich selbst, dass sie auch Wanda nicht wirklich sieht. Diese heischt um die Liebe ihrer Mutter durch Dünnsein und Erfolgreich sein. Sie ist ihr in ihrer lieblosen, selbstbezogenen Art dabei sehr ähnlich. Antonia kommt da eher auf den stillen, ruhigen Vater. Sie hält aus, wartet ab, will nur sein und in Ruhe gelassen werden. Doch wer keine Grenzen setzen kann, dessen Grenzen werden auch nicht beachtet.
Die Geschichte der drei Frauen liest sich vom Stil her recht leicht. Bisweilen ist ihr Gezänk, Gezeter und Selbstmitleid ermüdend bis erschreckend. So kaltherzig Regina bisweilen mit und über Töchter und Enkeltöchter spricht, das schockiert schon. Ihr Selbstverliebtheit, die sich unter anderem in dem Ansinnen ausdrückt, ihre Memoiren als ein großes Zeitzeugnis für die Frauengeneration 1948 festzuhalten, ist frappierend bis komisch. Dabei geht es auch einmal wieder um die Rolle der Frau, ihr Recht auf Selbstverwirklichung, wie es Wanda als Bloggerin über Feminismus, Finanzen, Frauen- und sonstigen Woke-Themen für sich zu beanspruchen versucht. Und doch endet auch sie mit zwei Kindern in der Job-Familien-Aufreibungsfalle und wünscht sich bisweilen nichts mehr als Ruhe und Versorgtsein. Auch hier scheint mehr Ironie als Ernst im Spiel zu sein, wenn die Autorin immer wieder auf die nachhaltigen, veganen Statussymbole einer modernen Influencer-Woman-Mom anspielt. Ernst nehmen kann man das nicht. Dann eher schon Wandas permanente Selbstzweifel über Aussehen und Geliebtwerden über Lust und Unabhängigkeit, derer sie sich in ihren Blogs vergewissert. Ist das die neue Frau von heute?
Am sympathischsten ist sicher Antonia, die nie weiß, was sie will oder ob sie überhaupt etwas will, aber das annimmt, was sich ihr bietet. Sie schmeißt ihr Studium, findet aber in der Physiotherapie ihren Job. Sie sucht Beziehungen, findet keine Liebe, aber bekommt eine uneheliche Tochter, die ihr ganzes Glück ist. Sie wird herumgeschubst, abserviert, aber sie ist die einzige, die bei sich ankommt oder immer schon bei sich war. Bodenständig, ohne überreflektiertes Selbst- und Rollenbewusstsein. Sie hat ein distanziertes Verhältnis zu ihrer Mutter, sie weiß, dass sie von ihr nicht geliebt wird, so wie sie ist, und nimmt es an. Was aber lässt sie an ihrer Liebe zur Mutter festhalten?
Die Figuren sind ein wenig groblinig dahingeworfen. Es findet zu wenig Entwicklung statt. Reginas Gekeife und Wandas Gejammer machen es schwer, eine Beziehung zu ihnen zu entwickeln. Man sieht sie eher aus einer ironischen Distanz. Antonias Passivität ist bisweilen nur schwer zu verstehen.
Insgesamt finde ich den Roman eher unterhaltend als tiefgreifend.