Der Wiener Kongress und die Neuordnung Europas
Nach Zamoyskis „1812 – Napoleons Feldzug in Russland“ war ich gespannt auf „1815 – Napoleons Sturz und der Wiener Kongress“.
Nun, nach 704 Seiten Erzählkunst des Autors stelle ich fest, dass sich die ...
Nach Zamoyskis „1812 – Napoleons Feldzug in Russland“ war ich gespannt auf „1815 – Napoleons Sturz und der Wiener Kongress“.
Nun, nach 704 Seiten Erzählkunst des Autors stelle ich fest, dass sich die beiden Bücher recht stark unterscheiden. Während bei „1812“ Schlachten, Regimenter, Taktik und Niederlagen den Ton angeben, bilden in vorliegendem Buch Tratsch, Müßiggang, Intrigen und beleidigte Monarchen die hauptsächlichen Zutaten.
Inhalt:
Nach Napoleons fehlgeschlagenem Feldzug gegen Russland soll eine Neugliederung Europas in den alten Grenzen erfolgen. Nur welches sind die „alten“ Grenzen?
Ein wahres Kunststück an Diplomatie ist Fürst Metternich gelungen, die vielen Herrscher, jeder mit eigenen Vorstellungen, an einen Verhandlungstisch zu bekommen.
Besonders Zar Alexander, der sich, mit beinahe religiösem Eifer, als „Retter Europas“ aufspielt, ist ein recht schwieriger Charakter. Preußens König möchte ebenfalls seine Einflusssphäre erweitern, die Engländer ihren Erbfeind Frankreich ein für alle Mal in Schranken weisen und Österreichs Kaiser Franz will seine von Frankreich annektierten Gebiete wieder zurück. Das besiegte Frankreich hätte ursprünglich gar nicht teilnehmen sollen, wird aber geschickt durch Talleyrand in den Kongress hinein reklamiert.
Auf Grund von persönlichen Animositäten und Befindlichkeiten stehen die Verhandlungen mehr als einmal vor dem Abbruch und Scheitern, Kriegsdrohungen inklusive.
Ein Großteil der Verhandlungen geht auch im Geheimen und in den Boudoirs diverser Damen vor sich.
Dass der Wiener Kongress doch noch zu einem guten Ende gebracht findet, ist zum Teil auch Napoleons „100 Tagen“ geschuldet. Ein letztes Mal kann der Kaiser der Franzosen Truppen mobilisieren, um dann im Juni 1815 bei Waterloos bzw. Bella Alliance endgültig geschlagen zu werden. Diese „100 Tage“ schweißen die Verhandlungspartner noch einmal zusammen.
Meine Meinung:
Das Buch besticht durch Zamoyskis Erzählkunst. In beinahe romanhafter Art werden die geschichtlichen Ereignisse präsentiert. Gespickt durch Anekdoten, Tratsch und der Schilderung der höchst unterschiedlichen Charaktere kann der Leser ein rundes Bild dieses Ereignisses erhalten. Abgerundet wird dieses Buch durch eine Menge Fotos alter Stiche und Portraits.
Bevor dem Leser das eigentliche Kongressgeschehen präsentiert wird, gibt Zamoyski eine Zusammenfassung der Vorgeschichte aus den unterschiedlichen Perspektiven.
Die Fülle der Details kann manchmal für den einen oder anderen Leser ermüdend wirken. Ich bin überzeugt, dass der Autor nur einen Bruchteil des im Österreichischen Staatsarchiv lagernden Materials verwendet hat. Nicht nur Metternich ließ alle Teilnehmer und deren Entourage bespitzeln, nein, jeder der beteiligten Monarchen unterhielt ebenfalls (s)einen Geheimdienst.
Einige Details wie z. B. die Regelung der Binnen(Fluss)schifffahrt oder die Abschaffung des Sklavenhandels sind ebenfalls auf dem Wiener Kongress abgehandelt worden.
Fazit:
Ein sehr detailreiches Werk über die Neugestaltung des Alten Europas, bei dem die vielen Eigeninteressen einzelner Monarchen gut dargestellt werden. An „1812 – Napoleons Feldzug in Russland“ kommt es nicht ganz heran, daher nur 4 Sterne.