informativ, wichtig, gut
Vergessen, verschwiegen, nostalgisch verklärt, gerühmt oder traumatisch? Die Beschäftigung mit der deutsch-tansanischen Kolonialgeschichte könnte unterschiedlicher und widersprüchlicher nicht sein. Wie ...
Vergessen, verschwiegen, nostalgisch verklärt, gerühmt oder traumatisch? Die Beschäftigung mit der deutsch-tansanischen Kolonialgeschichte könnte unterschiedlicher und widersprüchlicher nicht sein. Wie gut, dass sich diese Neuerscheinung dem gewichtigen Thema widmet. Der Soziologe und Journalist Aert van Riel fokussiert dabei den Umgang
mit dem Maji-Maji-Krieg und führte Interviews mit Betroffenen, Aktivistinnen, Wissenschaftlerinnen, Museumsmitarbeiterinnen sowie Politikerinnen.
„Der verschwiegene Völkermord“ versteht sich als Kompaktinformation, die zunächst auf den Verlauf des Maji-MajiAufstands eingeht, um danach dessen Auswirkungen bis heute zu beleuchten. Geschätzte 150.000 bis 300.000 Tote haben die Diskussion ausgelöst, ob der Krieg als „Völkermord“ zu werten ist. Durch die brutale „Politik der verbrannten Erde“ sind viele tausend Ostafrikaner*innen verhungert oder verloren ihr Obdach. Die gezielte Zerstörung der landwirtschaftlichen Flächen hatte zudem schwerwiegende ökologischen Konsequenzen: Buschland und Wild breiteten sich rasant aus, und der Touristenmagnet Nyerere-(ehemals Selous-)Nationalpark konnte somit nur deshalb entstehen, erklärt van Riel, dass nach dem Krieg weite Flächen für Menschen unbewohnbar blieben. Auch heute noch gilt als koloniales Erbe, dass die Regionen Südtansanias (also Schauplätze des Maji-Maji-Kriegs) im Vergleich zum Rest des Landes arm sind, sich durch höhere Kindersterblichkeit und niedriges ProKopf-Einkommen auszeichnen. Gleichzeitig ist der Widerstand, der auf Swahili „Befreiungskrieg“ (Vita vya Ukombozi) heißt, dank der Vereinigung vieler Volksgruppen gegen die Kolonialmacht ein kostbares historisches Vermächtnis für das tansanische Ideal der
nationalen Einheit.
Bei Riels Buch irritieren stellenweise Verallgemeinerungen, ungeachtet ihrer Komplexität einseitige Darstellungen der Geschehnisse sowie inhaltliche Abschweifungen. Schade ist außerdem, dass zivilgesellschaftliches Engagement, etwa von Seiten des Tanzania Networks oder Berlin Postkolonial nicht stärker Erwähnung findet, sondern vor allem aufgezeigt wird, was in Deutschlands Umgang mit der Kolonialgeschichte nicht getan wird.
Insgesamt ist „Der verschwiegene Völkermord. Deutsche Kolonialverbrechen in Ostafrika“ eine kompakte und interessante Lektüre, die zum Allgemeinwissen und – wie der Reihentitel „Neue kleine Bibliothek“ suggeriert – in jeden Bücherschrank gehören sollte. Die Kapitel sind flüssig geschrieben und enthalten keine bloße Aufreihung von Fakten und Jahreszahlen, sondern viele anschauliche Fallbeispiele, Personenbeschreibungen und Beziehungen von damals zu heute. Dennoch ist der Text kurz und knackig.
Fazit: informativ, wichtig, gut! Wer sich also eingehender mit dem kolonialen Erbe beschäftigen möchte, dem sei die dieses Buch wärmstens empfohlen.
(Diese Rezension erschien zuerst im HABARI 04/2023 "Schulpartnerschaften" des Tanzania Network e.V., S.65-68)