Cover-Bild Fliegen
20,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Rowohlt Berlin
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 176
  • Ersterscheinung: 19.02.2019
  • ISBN: 9783737100670
Albrecht Selge

Fliegen

Eine Frau auf unendlicher Reise. Sie lebt im Zug, in Großraumabteilen, in ICEs. Früher hatte sie ein normales Leben: Wohnung, Beruf, Mann, beste Freundin. Jetzt hat sie eine Bahncard 100, eine Tasche mit dem Nötigsten und lebt vom Flaschensammeln. Und doch scheint diese Außenseiterin hellsichtig. Für die Komödien und Tragödien um sie herum, für ein Deutschland ohne Orientierung. Albrecht Selges virtuoser Sprachwitz und hintergründige Ironie sorgen dafür, dass dieser Roman bei allem Ernst leicht und überraschend bleibt. Die Geschichte eines Sturzes? Eine Geschichte übers Aufstehen und Weiterfahren, über Obdach und Würde. Und ein Bild unserer Gegenwart aus außergewöhnlichem Blickwinkel.

Weitere Formate

Dieses Produkt bei deinem lokalen Buchhändler bestellen

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.09.2019

Wenn alles vorbeirauscht

0

In Deutschland pendeln wahnsinnig viele Menschen täglich zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte. Für einige von ihnen sind es nur wenige Minuten Weg, für manche Stunden und für wieder andere große ...

In Deutschland pendeln wahnsinnig viele Menschen täglich zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte. Für einige von ihnen sind es nur wenige Minuten Weg, für manche Stunden und für wieder andere große Reisen. Doch was ist, wenn man alles verloren hat, man sich die Wohnung nicht mehr leisten kann und einzig ein Fahrticket und eine kleine Reisetasche übrig bleibt? Genau so ergeht es der Protagonistin in Albrecht Selges Roman "Fliegen".

Das Buch handelt von einer Frau auf ständiger Reise, abgeschottet von der Außenwelt reist sie täglich von Bahnhof zu Bahnhof, von Nord nach Süd und wieder zurück. Früher hatte sie ein ganz normales Leben mit einer eigenen Wohnung, einem Beruf, ein paar Liebschaften. Heute bleibt ihr einzig eine kleine Reisetasche, ein paar Dokumente, ein kleines gelbes Buch und ihre beste Freundin Lilo, die sie hin und wieder einmal anruft oder besucht. Ihre Rente lässt sie sich einmal im Jahr auszahlen und davon leistet sie sich eine Bahncard100. Ihr Leben fliegt nun auf Schienen. Die Bahn, ihr neues Zuhause stets auf wechselnder Strecke, im gleichen wöchentlichen Rhythmus samt Verspätungen und Hindernissen. So erzählt sie nun in einzelnen Fragmenten von ihrem Innersten, das was sie sieht und erlebt, was in der Außenwelt passiert und wie sie abgeschottet in ihrer 'hohlen Röhre' durchs Land zieht und ihr Leben lebt.

Ihre Geschichte hat mich irgendwie total getroffen, fasziniert und doch unberührt zurückgelassen. Selge beschäftigt sich sehr intensiv mit dieser Frau und doch bleibt sie bis zum Ende fast ein Rätsel. Man weiß, sie hat ihre Wohnung verloren, ist Rentnerin, hat einiges in der Bahn erlebt, hat Lilo und dann war's das beinahe auch schon. Aber das ist dann auch gar nicht weiter schlimm, denn auch wenn man täglich die gleichen Menschen in der Bahn trifft, so weiß man auch nach Jahren des Nebeneinandersitzens recht wenig voneinander und doch, kann man sich leiden. Sprachlich finde ich "Fliegen" teilweise sehr poetisch, manchmal etwas wirr, manchmal echt und manchmal einfach ganz sensibel und melancholisch. Selge schafft es in "Fliegen" eine in sich ruhende Bahnatmosphäre zu erzeugen, einen Raum zu schaffen, in dem sich einfach so viel gedanklich und real abspielt. Und auch wieder nicht. Es ist eine Reise wie das Leben selbst. Dass sich dann auch noch gegen Ende einzelne Erzählungen in ähnlicher Art wiederholen, finde ich zum Beispiel sehr faszinierend, zumal es die ständige Routine des Reisens wiederspiegelt, aber auch den Alltag so herrlich beschreibt. Die Protagonistin schaut hinaus in die Welt. Sie blickt hinein in den Spiegel der Dunkelheit und sieht sich selbst. Sie erlebt kaum etwas und scheint doch in ihrer 'Kapsel' zu ruhen, obwohl alles stets in Bewegung ist. Und gerade das macht sie als ältere, kleine Frau dann auch wieder so unheimlich zerbrechlich. Wie sie so dasitzt, hofft, dass sie niemand mehr belästigt, und darauf wartet anzukommen. Schon allein der Anblick einer Bahn, reißt mich immer wieder zurück in diesen Bann und nimmt mich erneut mit, gedanklich in die Geschichte, die Unbekanntheit und das Leben der Protagonistin einzutauchen. Wahrscheinlich wird sie mich nun immer begleiten.