Geht unter die Haut
In diesem Roman, der Erzählkunst vom Allerfeinsten ist, lässt Autorin Alena Mornštajnová eine junge Frau mit den Erinnerungen an ihre Kindheit als Ich-Erzählerin auftreten. Die Autorin gönnt dem Mädchen ...
In diesem Roman, der Erzählkunst vom Allerfeinsten ist, lässt Autorin Alena Mornštajnová eine junge Frau mit den Erinnerungen an ihre Kindheit als Ich-Erzählerin auftreten. Die Autorin gönnt dem Mädchen nicht einmal einen Vornamen. Von ihrer Familie wird sie abwertend nur „Trutschel“ genannt. Das Mädchen wird mit Vorhaltungen über ihre eigene Schlechtigkeit und die ständige Drohung mit dem Kinderheim, ganz klein und eingeschüchtert gehalten. Welche Stimmung in dieser Familie, der Mutter, Großmutter und Großvater angehören (ein vermeintlicher Vater verschwindet spurlos), erkennt der Leser daran, dass ihm Großmutter und Mutter unisono erklären, dass es besser abgetrieben worden wäre. Außerdem wird dem Kind Angst vor Fremden gemacht. Was das mit der Seele eine kleinen Mädchens macht, kann man sich vorstellen.
„In der Gegenwart von Oma war ich ein undankbares, verbittertes Mädchen, für Opa war ich ein Angsthase, für Mama eine Tochter, die ihr eine Last war.“ (S. 68)
Das Mädchen hat kaum Kontakte zu anderen Kindern, weshalb es sich Monika, eine imaginäre Freundin, zulegt. Auch in der Schule bleibt es lange alleine, denn man hat ihm eingeschärft, nichts, aber auch gar nichts über die Familie zu erzählen. Langsam freundet sie sich mit der Banknachbarin Ester an. Als Jakub und Adam, zwei Brüder aus einer höheren Klasse, mit dem Mädchen in Kontakt treten, kommt es mit Ester zu einer folgenschwerer Bemerkung aus „Trutschels“ Familie, die die Welt des Mädchens als auch jene der Brüder gänzlich aus den Fugen geraten lässt.
„Die Fragen kamen wie Gewehrsalven, aber ich saß da wie festgefroren und weinte. Ich schwieg, nicht einmal nicken konnte ich. Ich hatte Angst, solche Angst. Alles, was ich fühlte war Angst und vor allem: Hass. Ich hasste mich selbst und war voller Wut. Ich hasste die Frau, die mir gegenübersaß, wegen der schrecklichen Gefühle, die sie mit ihren Fragen in mir auslöste.“ (S. 175)
Als dann auch noch die Mutter verschwindet, ist sie mit der ewig zornigen Großmutter, dem Großvater sowie ihrer Angst vor dem Wald, der an das Haus angrenzt und der voller Bedrohung ist, alleine. Und das Mantra „Du wirst wie deine Mutter enden - und das geschieht dir recht.“ begleitet das Mädchen sein Leben lang.
Es gelingt dem Mädchen nach einigen Jahren diesem bedrückenden und bedrohlichen Umfeld zu entkommen. Doch dann wird sie von der Vergangenheit eingeholt ....
Meine Meinung:
Dieser Roman, der sich so ähnlich auch in der Realität abspielen kann, hat mich tief berührt.
In ihren Rückblenden erzählt das nunmehr erwachsen Mädchen, in welchem Klima der Angst es aufgewachsen ist, ohne die Situation richtig benennen zu können. Sie kannte ja nichts anderes. Freundliche Menschen waren und sind ihr suspekt. Sie machen ihr noch mehr Angst, als die Großmutter und der Großvater.
Spätestens als sich die kleine Ich-Erzählerin mit ihrer imaginären Freundin Monika in den hintersten Winkel ihrer Kammer zurückzieht, ist mir klar, was in dieser dysfunktionalen Familie los ist.
Genial finde ich den Konnex von Titel und Wald, der gleich hinter dem Haus der Großeltern beginnt. Der Wald ist dunkel und bedrohlich, denn die Großmutter erzählt ihrer Enkelin allerlei Schauergeschichten, dass im Wald unfolgsame, kleine Mädchen auf Nimmerwiedersehen verschwinden, was auch von einem Gedenkstein bewiesen wird, der an die fünfjährige Blanka erinnert, die plötzlich wie vom Erdboden verschluckt war. Doch gleichzeitig ist der Duft des Waldes ein vertrautes Gefühl, denn der Großvater riecht nach ihm.
Autorin Alena Mornštajnová lässt uns an den Gedanken der Neunjährigen teilhaben, die systematisch gedemütigt und verletzt wird. Sie kann, dermaßen eingeschüchtert, dass Unaussprechliche nicht in Worte fassen, sodass neben ihr, letztlich Jakub und Adam die Zeche zahlen müssen.
Das Buch entwickelt eine Sogwirkung, der man sich kaum entziehen kann. Sprachlich ist er ein Genuss, wenn auch das Thema bedrückend ist. Nicht die Fremden sind jene, vor der man sich fürchten muss, sondern die eigene Familie.
Fazit:
Diesem Roman, der in seiner Erzählkunst beeindruckt, gebe ich gerne eine Leseempfehlung und 5 Sterne.