Alter weißer Mann erzählt
Selbstkritische Journalisten wissen: Ihr Produkt hat in der Regel eine kurze Verweilzeit. Früher wurde in der Zeitung vom Vortag Gemüse eingewickelt, heute sind online-Texte mitunter schon nach Minuten ...
Selbstkritische Journalisten wissen: Ihr Produkt hat in der Regel eine kurze Verweilzeit. Früher wurde in der Zeitung vom Vortag Gemüse eingewickelt, heute sind online-Texte mitunter schon nach Minuten überholt, jedenfalls in breaking news Situationen. Und doch gibt es immer wieder, gerade in der literarischen Reportage, Texte, die bleiben und ihren eigenen Wert haben. Man denke nur an Altmeister Kisch. Doch gilt das auch für die Reportagesammlung "Bloßes Leben" von Andreas Altmann? Ich fürchte, nein. Einige der Texte scheinen schon mehrere Jahrzehnte alt zu sein. Das nimmt den Ortsbeschreiibungen nicht ihre Farbigkeit, es zeigt sich jedoch ein Blickwinkel, der deutlich aus der Zeit gefallen ist. Boshaft formuliert: Ein alter weißer Mann erzählt.
Seinerzeit war Altmann zu Zielen unterwegs, die für die meisten Menschen äußerst exotisch und eher unerreichbar waren. Mexiko, der Himalaya, gar die Nubaberge während des sudanesischen Bürgerkriegs. Da konnte die Selbstdarstellung ruhig noch ein bißchen kräftiger geraten, es war ja keiner da, der womöglich Zweiefel üben könnte, ob sich der Autor tatsächlich schon nach einem Tag "wie ein Einheimischer" in den Souks von Kairo, den Gassen von Mumbai etc bewegte.
Ärgerlicher stößt beim Lesen eine Haltung auf, die heute nur für Befremden sorgen kann - das Frauenbild etwa, die Reduzierung auf Äußerlichkeiten, streng heteronorme Sichtweise, das Gaffen auff Busenwunder, die Exotisierung von Menschen, denen Altmann auf seinen Reportagen begegnete, Formulierung wie "Mohrenhirse" und N-Wort. Das mögen diejenigen genießen, denen Debatten um Diversität und Pluralismus zu anstrengend erscheinen, aber man muß kein woke-Verfechter sein, um zu bemerken: das liest sich im Jahr 2022 ziemlich angestaubt.
Vielleicht ist es auch dem Umstand geschuldet, dass Fernreisen, gerade solche abseits ausgetretener Pfade, vor einigen Jahrzehnten noch sehr selten waren - aber so mancher Text verharrt an der Oberfläche und huscht hastig zur nächsten Episode weiter, wenn ich als Leserin eigentlich auf der Suche nach Details, nach Stimmungen, nach Emotionen bin: Wie ging es denn nun zu beim illegalen Hahnenkampf, was trieb die Wetter und Hahnenbesitzer dorthin, welche Bedeutung hat das blutige Schauspiel für sie? Hier wäre weniger mehr gewesen, hätte zusätzliche Tiefe und der genaue Blick dem Text gut getan. Denn das bloße Leben ist nun mal zu vielfältig und bunt, um derart oberflächlich abgetan zu werden.