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Veröffentlicht am 18.11.2024

Mord und Achtsamkeit

Mordscoach
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Die Verbindung von Achtbarkeitsritualen und teils eher unbeabsichtigten, teils durchaus kalkulierten Leichen hat schon in der "Achtsam morden"-Reihe funktioniert und mit schwarzem Humor für gute Unterhaltung ...

Die Verbindung von Achtbarkeitsritualen und teils eher unbeabsichtigten, teils durchaus kalkulierten Leichen hat schon in der "Achtsam morden"-Reihe funktioniert und mit schwarzem Humor für gute Unterhaltung gesorgt. Als ich den Klappentext von "Mordscoach" von Lilly Pabst sah, war ich also sofort neugierig. Hier ist es Psychoanalytikerin und Achtsamkeits-Coach Sophie Stach selbst, die für eine zunehmende Zahl zu entsorgender Leichen in ihrem Leben sorgt.

Es kann ja schon mal passieren, dass man in einer psychischen Ausnahmesituation überreagiert. So wie Sophie, als die zunächst nette junge Frau, die sie in ihrer Praxis aufsucht, mit der Nachricht herausrückt, dass sie die Geliebte von Sophies Ehemann ist. Da ist sie hin, die Illusion der funktionierenden Ehe in gegenseitigem Respekt und achtsamer Zuneigung. Das kann Sophie nicht so einfach wegatmen, denn die Rivalin ist plötzlich tot.

Mit der Entsorgung der Leiche ergibt sich schnell ein neues Problem, da ein Patient, der ein ungesund obsessives Interesse an seiner Therapeutin entwickelt hat, Dinge mitkriegt, die er nicht hätte sehen sollen. Und auch sonst gibt es weitere Komplikationen, die Sophie zu Handlungen bewegen, die im Handbuch der Psychologie und Psychoanalyse eher nicht vorgesehen sein dürften. Ein gutaussehender Polizist, dem Sophie zwangsläufig gehäuft über den Weg läuft angesichts einer wachsenden Zahl unnatürlicher Todesfälle, die Frage Scheidung oder ein noch finaleres Ehe-Aus gehören zu den weiteren Problemen, die Sophie sich in ihrer Coach-Ausbildung sicher nicht zu träumen gewagt hätte.

Dass Sophie in der Lage ist, ihr mörderisches tun durchaus reflektiert in bester Achtsamkeitsmanier zu betrachten, sorgt für humorvolle Lesemomente, auch wenn die Analytikerin für ihren Beruf ziemlich rabiat vorgehen kann. Wer für den sich häufenden Leichenberg verantwortlich ist, ist hier nicht die Frage, wohl aber: wird Sophie überführt? Einige Längen gibt es in dem unterhaltsamen Cozy Crime, insgesamt hat mir das Buch aber gefallen, auch wenn die Protagonistin nur bedingt sympathisch ist.

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Veröffentlicht am 17.11.2024

Identitätssuche in Togo

Adikou
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Adikou, die Protagonstin des gleichnamigen Debütromans der Schriftstellerin Raphaelle Red, ist auf der Suche: Nach der Familie ihres Vaters, den sie kaum gekannt hat, nach dem afrikanischen Teil ihrer ...

Adikou, die Protagonstin des gleichnamigen Debütromans der Schriftstellerin Raphaelle Red, ist auf der Suche: Nach der Familie ihres Vaters, den sie kaum gekannt hat, nach dem afrikanischen Teil ihrer Identität. Adikou stammt nicht aus den Ban-lieus voller entwurzelter Migranten und zorniger Jugendlicher, sie ist in Paris in einem sehr bürgerlichen, sehr weißen Umfeld aufgewachsen. Eher erotisch exitisiert als ausgegrenzt, und ohne Kontakt zur afrikanischen Diaspora in ihrer Heimatstadt. Von solchem Colorismus ist Adikou selbst allerdings auch nicht frei - ihr Freund wird nur als "Whiteboy" erwähnt, als definieren Hautfarben einen Menschen mehr als seine/ihre Persönlichkeit.

Sich als schwarz wahrzunehmen, erfährt Adikou erst während eines Studienaufenthalts in den USA - gleichzeitig aber auch Ausgrenzung als "nicht schwarz genug" vor allem nicht im Hinblick auf ein PoC-Kultur. Manche Campusdiskussionen kann sie nicht nachempfinden und wird umgekehrt als Außenstehende empfunden.

"Adikou" ist ebenso Identitätssuche wie Road Novel, wobei die Autorin eine weitere, Adikou beobachtende und analysierende Erzählstimme hinzufügt, die anfangs beim Lesen für Verwirrung sorgt - ist Adikou mit einer Freundin oder Geliebten unterwegs?

Die Handlung verläuft nicht linear, sondern in Rückblenden und Vorwärtssprüngen zwischen den USA, Frankreich und Westafrika, vor allem Togo, wo sich Adikou auf die Suche nach Angehörigen ihres Vaters macht. Es ist nicht Heimkommen, sondern Fremdheitserfahrung, was sie auch hier erlebt. Als schwarz oder afrikanisch wird sie hier von vielen nicht wahrgenommen, sondern als Europäerin, die von Taxifahrern oder Reiseführern auch gerne mal über den Tisch gezogen wird.

Dass ein Mensch mit vielschichtigem ethnischen Erbe an verschiedenen Orten und im jeweiligen Kontext ganz unterschiedlich wahrgenommen wird, gehört zu den Erfahrungen Adikous auf dieser Reise zu sich selbst.

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Veröffentlicht am 16.11.2024

Information warfare und Versagen der Sicherheitsdienste

Nichtwissen ist tödlich
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Der Titel des Buches "Nichtwissen ist tödlich" nimmt die bittere Erfahrung Israels am 7. Oktober 2023 vorweg: Das Land wurde trotz seiner angeblich besten Sicherheitsdienste der Welt vom Terrorangriff ...

Der Titel des Buches "Nichtwissen ist tödlich" nimmt die bittere Erfahrung Israels am 7. Oktober 2023 vorweg: Das Land wurde trotz seiner angeblich besten Sicherheitsdienste der Welt vom Terrorangriff der Hamas kalt überrascht. Den Preis zahlten die Toten der Massaker und die mehr als 250 in den Gazastreifen verschleppten Geiseln und ihre Angehörigen und Freunde. Hätte der Angriff und damit auch der folgende Krieg mit seinem Leid für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen und mittlerweile auch im Libanon vermieden werden können?

Inzwischen ist bekannt, wie akribisch sich die Hamas-Kämpfer vorbereitet haben, aber auch, dass Berichte und Analysen der Beobachterinnen nicht weitergeleitet und ausreichend ernst genommen wurden. Ganz abgesehen von den Fehlern der Regierung Netanjahu, die lieber Truppen zum Schutz der - oft militanten und nationalistisch-extremen - Siedler im Westjordanland abstellte, statt die Kibbutzniks im Süden Israels zu schützen.

Insofern berichtet auch Ex-Nachrichtendienstler Gerhard Conrad in seinem neuen Buch nichts Überraschendes und Neues über die Informationslücken und das Versagen der Sicherheitsdienste am und vor dem 7. Oktober. Hinzu kommt, dass Conrad Nachrichtendienstler im Ruhestand ist. In aktiven Zeiten hat er zwar mit Hizbollah und Hamas verrhandelt, doch seit fünf Jahren ist er Pensionär. In den Lagebesprechungen ist er vermutlich schon lange nicht mehr dabei.

Interessant ist sei Buch dennoch. Conrad ist Islamwissenschaftler und geht ausführlich auf historische Hinteregründe, Geschichte und Ideologie der Hamas, aber auch auf islamistische Bewegungen sowohl in der Region als auch in Europa und Deutschland ein. Was er zu "information warfare", zu Manipulationen und fake news schreibt, gilt nicht nur für die innergesellschaftlichen Diskussionen über den Nahostkonflikt, sondern auch über Russland und Ukraine-Krieg.

Auch das Problem der Verifizierung von Fakten und Angaben etwa über Opferzahlen beschreibt Conrad, wobei seine Medienschelte teilweise ungerecht ist. In Breaking News Situationen können Journalisten nun einmal nicht tage- oder wochenlang auf Datenauswertungen warten wie ein BND-Abteilungsleiter. Da muss dann die etwa vom Hamas veröffentlichte Zahl herhalten mit dem Hinweis, dass die Zahlen nicht unabhängig überprüft werden konnten.

"Nichtwissen ist tödlich" bietet zwar keine grundlegend neuen Erkenntnisse über die Vorgeschichte des 7. Oktober und die Entwicklung seit Beginn des Gaza-Kriegs, ist aber gerade wegen des Hintergrunds zu verschiedenen Protagonisten wie dem mittlerweile getöteten Yahya Sinwar und dem historisch-religionsgeschichtlichen Kontext ein interessantes Buch für alle, die über das tagesaktuelle Geschehen hinaus mehr über den Nahostkonflikt wissen wollen.

Veröffentlicht am 16.11.2024

Tödliche Therapie

Miss Merkel: Mord in der Therapie
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Es geht wieder tödlich zu in Klein Freudenstadt in der Uckermark, dem fiktiven Ruhesitz von Angela Merkel, oder, wie sie in David Safiers Cozy-Krimis besser bekannt ist: Miss Merkel. Im nunmehr vierten ...

Es geht wieder tödlich zu in Klein Freudenstadt in der Uckermark, dem fiktiven Ruhesitz von Angela Merkel, oder, wie sie in David Safiers Cozy-Krimis besser bekannt ist: Miss Merkel. Im nunmehr vierten Band der Reihe hadert die Ex-Kanzlerin allerdings gewaltig mit dem Ruhestand - dabei kann sie vom Ampel-Aus zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts ahnen. Das Schreiben an ihrer Autobiographie hatte allerdings eine ernüchternde Wirkung: Fehler wurden gemacht, manches ist liegengeblieben, so manche Einschätzung erwies sich im Nachhinein als falsch, ja schädlich. Da hilft auch die bevorstehende Hochzeit der besten Freundin Marie mit Bodyguard Mike nichts gegen den Altkanzlerin-Blues.

Die Lieblingsmenschen kriegen das Stimmungstief natürlich auch mit - und wissen eine Lösung: Psychologische Hilfe ist gefragt in "Mord in der Therapie". Über die erste Sitzung Gruppentherapie kommt die Ex-Kanzlerin allerdings nicht hinaus. Das liegt nicht nur an negativen Schwingungen innerhalb der Gruppe, der unter anderem ein Wutbürger und eine Klimakleberin angehören, also nicht gerade Merkel-Fans. Die Explosion eines Bootes mit dem Psychologen an Bord bedeutet vielmehr: Ermittlungen statt Therapie. Aber das Detektiv-Spielen hat Merkel ja bereits in den vorangegangenen drei Bänden gegen Renten-Frust geholfen.

Dass die Ex-Kanzlerin bei ihrer Therapiegruppe selbst als Verdächtige gilt, ist allerdings eine neue Erfahrung. Wobei auch sie schnell vermutet: Der Täter oder die Täterin muss sich in der Gruppe befinden. Kein Wunder, dass Bodyguard Mike seine Chefin einmal mehr nicht bremsen kann bei Sologängen, die er doch eigentlich verhindern will. Doch zwischen Hochzeitsvorbereitungen und Stress mit den angereisten Spät-Hippie-Eltern kann der Security-Experte schnell mal den Überblick verlieren. Außerdem wissen wir ja - Männer tun sich mit Multitasking eher schwer.

Safier folgt einmal mehr dem bewährten wie erfolgreichen Muster, die Ex-Kanzlerin mit exzentrischen Mitbürgern und turbulenten Situationen zu umgeben. Mitunter für meinen Geschmack zu klamaukig, Allerdings wird das durch Sprecherin Nana Spier aufgehoben, die so wunderbar "merkelt" Für ihre Interpretation des Buches ist glatt noch ein Extra-Stern angebracht. aber unterhaltsam. Am besten ist die Roman-Merkel immer dann, wenn sie sich süffisant mit Politiker-Kollegen und Krisen auseinandersetzt, die offensichtlich eine Schule fürs Leben waren. Das nützt dann auch in der Uckermark.

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Veröffentlicht am 11.11.2024

Innenansichten nach dem Terror

Und es geschieht jetzt
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Es gibt schon viele Bücher zum Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023, und bestimmt werden etliche folgen. Zu tief ist der Einschnitt, nicht nur in Israel, nicht nur in Gaza, sondern auch in der jüdischen ...

Es gibt schon viele Bücher zum Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023, und bestimmt werden etliche folgen. Zu tief ist der Einschnitt, nicht nur in Israel, nicht nur in Gaza, sondern auch in der jüdischen Diaspora und in den europäischen und nordamerikanischen Staaten. Der Autor und Publizist Marko Martin hat mit seinem Buch "Und es geschieht jetzt" laut Verlagsinfo "Jüdisches Leben seit dem 7. Oktober" beschrieben.

Es sind vor allem persönlich geprägte Innenansichten, Gespräche mit Freunden, Begegnungen, innere Monologe, Erinnerungen an vergangene Besuche in Israel und die wahrgenommene Veränderung im Sommer 2024, Veränderungen aber auch für jüdisches Leben etwa in Deutschland - die verstärkte Angst, das Gefühl von Unsicherheit angesichts des immer lauteren Antisemitismus, aber auch angesichts des lauten Schweigens ausbleibender Solidarität oder menschlich-nachbarlicher Nachfragen - seid ihr betroffen, kennt ihr jemanden, braucht ihr jemanden zum Reden?

Liegt es an endlosen Schachtelsätzen, an als Manierismus empfundenen zu literarisch-schön geschriebenen Sätzen, dass mich dieses Buch nicht packen konnte? Zu künstlich klingen die Dialoge, die der Autor mit seinen Freunden führt, so druckreif-endlos redet doch niemand im wahren Alltag. Diese Schreibweise bringt die Begegnungen nicht näher, sondern sorgt für einen Verfremdungseffekt, zu selbstverliebt und nabelschauzentrisch geraten die Schilderungen alter Freundschaften und Beziehungen bei den vergangenen Israel-Reisen.

In anderen Büchern über den 7. Oktober habe ich Zorn, Fassungslosigkeit, Schmerz gespürt. Hier übertüncht die Form den Inhalt. Ich bleibe mit gemischten Gefühlen zurück,