Penibel recherchiert und fesselnd erzählt
David Bronstein, seines Zeichens Oberst der Wiener Kriminalpolizei im Jahre 1936, hat wieder einmal einen Mord an einem Arbeiter aufzuklären. Doch bevor er sich intensiver mit dem Tod von Hans Binder auseinandersetzen ...
David Bronstein, seines Zeichens Oberst der Wiener Kriminalpolizei im Jahre 1936, hat wieder einmal einen Mord an einem Arbeiter aufzuklären. Doch bevor er sich intensiver mit dem Tod von Hans Binder auseinandersetzen kann, wird er als „Zuschauer“ zu einem politischen Prozess in den Gerichtssaal beordert.
Es sind die Jahre des Ständestaates, also jene zwischen Bürgerkrieg (1934) und dem Anschluss an Hitler-Deutschland (1938), die Österreichs Justiz in den Fokus des Auslandes geraten lassen. Die Oppositionellen werden seitens der Regierung gnadenlos verfolgt, während man die noch im Untergrund agierenden Nazis nicht so ernst nimmt.
Das selbstbewusste Auftreten einiger sozialistischer Angeklagter bringt Bronstein dazu, den Mord an Hans Binder von einer anderen Seite zu betrachten. Nochmals begibt er sich mit seinem Kollegen Cerny nach Simmering, wo Binder in einem heruntergekommenen Mietshaus gewohnt hat. Bei den Befragungen der wenigen anderen Mieter, entdeckt Bronstein ein kleines Detail, dem er noch weitere Nachforschungen folgen lässt. Ist hier das Mordmotiv zu suchen? Wie heißt es doch so schön? „Folge der Spur des Geldes“ – egal wie hoch die Summe ist.
Meine Meinung:
Andreas Pittler hat mit diesem Fall wieder ein großartiges Sittenbild von Wien (und Österreich) der Jahre vor dem Anschluss geschrieben.
Allerdings kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass er auch ein wenig die aktuelle politische Situation in Europa meint, wenn er seinen Oberst nachdenken lässt:
„Damals waren die Polen aus dem demokratischen Konsens in Europa ausgeschert und hatten ein autoritäres Regime etabliert. Das war achselzuckend zur Kenntnis genommen worden, weil es ja in Ungarn und vor allem in Italien nicht anders aussah. Drei Jahre später hatte der König von Jugoslawien eine Diktatur errichtet, und heute, heute war man als Demokrat auf dem Kontinent bereits so etwas wie ein Exot. Die Demokratie, so verkünden die Politiker aller Orten, könne die enormen Probleme, vor denen man stehe, nicht lösen. Es brauche eine starke Hand, die Ordnung schaffe. Der Worte seien nun genug gewechselt, Taten seien gefragt. Und wohin genau sollte das führen? Ging es den Polen, den Ungarn oder den Italienern nun vielleicht besser? Nein! Es durfte, nur nicht mehr offen thematisiert werden, das war der einzige Unterschied.“ (S. 167)
Aus Angst vor dem Bolschewismus hat die damalige Politik die drohende Gefahr von rechts, weder wahrnehmen, noch etwas dagegen unternehmen wollen.
Sprachlich ist dieser Krimi wieder ein großer Genuss. Der tschechisch-stämmige Cerny gewinnt bei den Befragungen das vertrauen so mancher Person durch den Einsatz seiner Muttersprache.
Die meisten Personen sprechen im Wiener Dialekt, aber keine Angst, ein ausführliches Glossar übersetzt die wichtigsten Begriffe. Das macht Pittlers Krimis so lebendig, genauso wie die doch eher unangepasste Art seines Ermittlers Bronstein. Der geneigte Leser wird bestimmt ahnen, dass der Oberst in den nächsten Jahren mit allerlei Ungemach zu rechnen haben wird, wie sich hier auf S. 178 abzeichnet.
Pittler lässt wieder historische Personen auftreten. Diesmal ist es der spätere Bundeskanzler Bruno Kreisky, der als blutjunger Jura-Student seinen Auftritt vor Gericht hat (S. 120).
"Eine Idee wird zur Gewalt, wenn sie die Massen ergreift". Dieser Satz von Seite 122 lässt mich an die zunächst friedlichen Proteste der "Gelbwesten" in Frankreich denken, die inzwischen eskaliert sind.
Fazit:
Wieder ein gut recherchierter historischer Krimi, der sich die eine oder andere Anspielung auf das hier und heute nicht verkneifen kann. Gerne gebe ich 5 Sterne und empfehle das Lesen der gesamten Reihe rund um David Bronstein.