Eine Geschichte, auf die man sich einlassen sollte - es lohnt sich!
Früher lebten alle Esten im Wald und konnten die Sprache der Schlangen sprechen. Doch dann kamen Fremde und brachten neben einer neuen Religion auch neue Gepflogenheiten und fortschrittliche Möglichkeiten. ...
Früher lebten alle Esten im Wald und konnten die Sprache der Schlangen sprechen. Doch dann kamen Fremde und brachten neben einer neuen Religion auch neue Gepflogenheiten und fortschrittliche Möglichkeiten. Jetzt leben viele Esten im Dorf und säen und nutzen moderne Gerätschaften. Die Waldbewohner sterben aus und schließlich ist Leemet der Letzte, der das alte Wissen besitzt.
Bereits optisch gefällt mir das Buch sehr, die Farbe, das Motiv, der Titel haben mich sofort angesprochen und nach dem Lesen der Leseprobe wollte ich einfach nur weiterlesen. Bereits nach wenigen Seiten fragte ich mich, inwieweit der Roman einen realen historischen Hintergrund hat – und tatsächlich, Estlands Geschichte kann man hier wiederfinden. Es handelt sich aber nicht um einen historischen Roman, sondern um eine phantastische Erzählung, Vieles wird überspitzt dargestellt, es gibt eine Reihe phantastischer Elemente. Der Roman wird zwar Genre Fantasy zugeordnet, ist aber keinem Subgenre direkt zurechenbar, sondern ist etwas Einzigartiges, Besonderes. Das führt dazu, dass man sich auf den Roman auch einlassen muss, um ihn verstehen und mögen zu können.
Der Autor lässt Leemet selbst seine Geschichte rückblickend erzählen, und zwar sehr anschaulich. Charaktere, Tiere und Landschaft kann ich mir sehr gut vorstellen, ebenso kann ich mich gut in Leemet hineinversetzen, der nach und nach alles verliert und nicht verstehen kann, wieso seine bisherigen Werte nichts mehr wert sein sollen, ja sogar seine Art zu leben als schlecht dargestellt wird. Das „neue“ Leben erscheint ihm so gar nicht reizvoll, und doch ziehen immer mehr Waldbewohner ins Dorf. Dieser Konflikt zwischen Althergebrachtem und Neuem ist gut herausgearbeitet und zwar so, dass keine Seite nur Vor- oder Nachteile aufweist.
Der Autor erzählt in einfacher Sprache, eben so, wie Leemet erzählen würde. Die Geschichte ist bei aller Tragik auch voller, nicht nur schwarzem, Humor. Neben Leemet entwirft der Autor eine ganze Reihe weiterer, mehr oder weniger liebenswürdiger, teilweise sehr skurriler Charaktere, mit teilweise fast absurden Hintergründen, so gibt es z. B. liebestolle Bären, die nichts lieber tun als menschliche Frauen zu verführen, Urmenschen, die möglichst große Läuse züchten möchten, und einen Waldweisen, der gerne blutige Rituale vollzieht. Das Geschehen selbst ist zum Teil ähnlich absurd, wobei sich die Absurdität im Laufe des Geschehens immer mehr steigert. Das Ende hat mir gut gefallen, mich aber auch überrascht – und sämtliche Fäden sind verknüpft.
Wenn man den Autor goggelt, sieht man, dass er auf skurrile Charaktere und absurde Geschichten abonniert ist. Andrus Kivirähk ist ein bekannter estnischer Autor, der bereits viele Preise in seiner Heimat bekommen haben und dessen Bücher auch in anderen Länder veröffentlicht werden. „Der Mann, der mit Schlangen sprach“ erschien im Original bereits 2007, wie schön, dass wir ihn nun auch auf Deutsch lesen können.
Mir hat der Roman sehr gut gefallen und Lust auf weitere Werke des Autors gemacht. Wer sich auf den Roman einlässt, erhält eine ganz besondere, einzigartige Geschichte, die womöglich lange nachwirkt.