Erinnerungen
Annes Kindheit ist alles andere als rosig - aufgewachsen in Armut muss sie erfahren, wie körperliche Züchtigung, Demütigung und Härte ihr Leben prägen. Aber so einfach gibt sie sich nicht geschlagen und ...
Annes Kindheit ist alles andere als rosig - aufgewachsen in Armut muss sie erfahren, wie körperliche Züchtigung, Demütigung und Härte ihr Leben prägen. Aber so einfach gibt sie sich nicht geschlagen und bietet dem Schicksal die Stirn. Da muss doch mehr aus ihrem Leben zu machen sein, als zwischen dem Webstuhl des Vaters und seinem Tagwerk zu versauern. Anne macht sich auf, um das Glück zu suchen..
Inspiriert von der Lebensgeschichte ihrer Großmutter, hat Annelies Schulz diesen teilweise biografischen Roman bereits in den 1960er Jahren verfasst und nun auf vielfachen Wunsch ihrer treuen Leserschaft überarbeitet und neu herausgebracht.
Die Autorin zeichnet ein ungeschöntes Bild vom Leben eines jungen Mädchens im 19. Jahrhundert und gibt den Blick in die Stube frei. Die Armut kriecht förmlich aus jeder Ritze und jede Anstrengung, diesem Missstand ein Ende zu bereiten, scheint von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Anne ist aber ein cleveres Köpfchen, weiß sich zu behaupten, auch wenn sie dafür manchmal hart bestraft wird. Es tut mir in der Seele weh zu lesen, wie hier Kinder und Frauen misshandelt werden - die Schläge und Hiebe verletzten nicht nur oberflächlich, sondern auch die Seele. Hier wird sehr authentisch die Stellung von Frau und Kind zur damaligen Zeit wiedergegeben und in mir kocht die Wut hoch, dass man zu solchen Mitteln greifen muss, um sich Gehör oder Respekt zu verschaffen. Ein Glück, dass sich die Zeiten gewandelt haben.
Auch arbeitet die Schreibende mit Metaphern, um ihren Worten noch stärker Ausdruck zu verleihen (S. 96 "Auf dem Tisch lag ein vergessenes Buch; in seinen Seiten las der Wind") und ihnen mitunter einen leicht poetischen Anstrich zu geben.
Die Charaktere sind schön ausgeformt und erzählen dem Leser ihre Geschichte - es gibt grobschlächtige und plumpe Kerle, einfühlsame und herzliche Akteurinnen und eine herausragende Hauptfigur, die eine unglaublich Entwicklung durchmacht.
Da hier die Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit verschwimmen, ist dieses Buch kein reiner Tatsachenbericht, sondern ein Roman, der eine Zeitreise ermöglicht und den Leser gut unterhält.