Interessante, spannende China-Parabel
Ein Buch, das so ganz anders war, als ich es erwartet hatte - was in diesem Fall aber nicht schlecht war. Zunächst war ich davon ausgegangen, dass das fiktive Land Kirthan, in dem diese Geschichte spielt, ...
Ein Buch, das so ganz anders war, als ich es erwartet hatte - was in diesem Fall aber nicht schlecht war. Zunächst war ich davon ausgegangen, dass das fiktive Land Kirthan, in dem diese Geschichte spielt, an Nordkorea angelehnt ist - tatsächlich stellte sich aber ziemlich schnell heraus, dass hier von einem "verkleideten China" die Rede ist. Außerdem dachte ich, dass die westliche Reisegruppe, die dieses Land erkundet, im Mittelpunkt des Geschehens steht - tatsächlich ist es aber der geheimnisvolle Reiseleiter Nime, anhand dessen Biographie der Weg Kirthans von einer eher dörflich geprägten Nation zu einem Handelspartner des Westens erzählt wird.
Nichtsdestotrotz beginnt die Geschichte mit den Touristen, geschildert von einer Frau, die jährlich große Urlaubsreisen mit ihrem alten Vater unternimmt. In Kirthan gibt es viel zu sehen, und Nime führt die bunt zusammen gewürfelte Gruppe an Orte, die sowohl traditionell als auch modern sind ("Alles, was Sie sehen, ist neu"). Die anderen Touris kommen nur am Rande vor, werden teilweise - wie die Erzählerin - nicht mal namentlich vorgestellt, doch Annette Pehnt verleiht ihnen mit geschickt gesetzten Charakterzügen und Beschreibungen genug Kontur. Der Westen erkundet also Kirthan, oder zumindest den Teil des Landes, den die Touristen sehen sollen. Nime hält die Gruppe nicht nur zusammen und liefert Informationen, er ist auch ein echter "Kümmerer", löst kleine und große Probleme, hat immer ein Lächeln parat und wenn er erst anfängt zu erzählen...
Dann, nach etwas einem Drittel, verlassen wir die Gruppe und die Gegenwart. Nun wird in mehreren Kapiteln die Geschichte von Nime erzählt, und zwar immer aus wechselnden Perspektiven (die ihm mal näher, mal ferner sind) und verschiedenen Zeiten. Das gibt nicht nur weitere spannende Einblicke in das Leben des enigmatischen Mannes, sondern auch in die Geschichte, die dem Aufschwung Kirthans zugrunde liegt. Ob Landflucht der "jungen Leute", die Zersplitterung von familiären Strukturen oder die Umsiedlung alter Dörfer für Bauprojekte ("Alles, was Sie sehen, ist neu"), die "schöne neue Welt" in Kirthan hat so einige Schattenseiten.
Eine interessante, spannende China-Parabel, schön geschrieben und klug konstruiert - leider hat mir am Ende dann doch irgendwas gefehlt, eine alles zusammen fassende Folgerung, ein noch stärkerer Zusammenhalt der Einzelteile. So verhält sich das Buch wie eine von Nimes Geschichten: Sie hört einfach so auf, und auf Nachfragen gibt es nur ein höfliches Lächeln.