Die Vagabundin
Passau, 1561. Das Leben in dieser Zeit war an sich kein leichtes. Für junge Mädchen wie Eva Barbiererin jedoch, deren geliebte Mutter viel zu früh gestorben und deren Stiefvater sie an einen alten Saufkumpan ...
Passau, 1561. Das Leben in dieser Zeit war an sich kein leichtes. Für junge Mädchen wie Eva Barbiererin jedoch, deren geliebte Mutter viel zu früh gestorben und deren Stiefvater sie an einen alten Saufkumpan verschacherte, sie zudem sexuell belästigte, war das Leben eine unerträgliche Qual, gezeichnet von tiefer Armut, Verzweiflung und Hunger. Das Dasein bedeutete einen täglichen Kampf um das nackte Überleben, da der arbeitslose Vater den kärglichen Lohn seiner minderjährigen Tochter vertrank und verspielte. Die selbständige und eigenwillige Eva wusste bereits früh um die Rechtlosigkeit und Ausgrenzung der Frauen nicht nur in ihrer Heimat, eine Flucht als allein reisendes Mädchen hätte brutale Vergewaltigungen oder gar Schlimmeres für sie bedeutet. In ihrer Verzweiflung, dieser ausweglosen Lage auf irgend eine Art und Weise zu entkommen, griff sie zum einzigen Mittel, das ihr möglich schien: Eva verkleidete sich als Mann und nannte sich fortan Adam Portner, um unbehelligt reisen und durch ihre geschickten Nähkünste ihren Unterhalt verdienen zu können. Durch die Tabuisierung der Nacktheit und ihre Schläue blieb ihr wahres Geschlecht lange Zeit unentdeckt und sie konnte die Vorteile der Männerwelt, die ungeahnten Freiheiten sowie Anerkennung und materiellen Erfolg genießen. Der Roman von Astrid Fritz beruht auf historischen Fakten, ihre Recherchen betrieb sie im Nördlinger Stadtarchiv, wo die wahre Geschichte der Eva Barbiererin gut dokumentiert auflag. Die Autorin schildert in sehr lebendigem Schreibstil die Zeit unter der Fuchtel von Evas brutalem Stiefvater, ihre Flucht mit dem kleinen Bruder Niklas zu ihrer Muhme Ursula Wolff, der Schwester ihrer Mutter, die den wohlhabenden Kaufmann Endress Wolff geheiratet hatte und mit ihm in Straubing lebt. Sie erzählt auch von Evas Wanderlust, ihrem Gefühl des „Eingesperrtseins“ und ihrer Unfähigkeit, sich mit der Rolle einer rechtlosen, unterdrückten und durch Resignation gekennzeichneten Frau abzufinden. Eva boten sich auf ihrer langen Reise durchaus auch Möglichkeiten, sich niederzulassen und ein gemütliches Leben an der Seite eines ehrbaren Ehemannes zu führen. Jedoch kam sie nicht gegen ihre innere Unruhe, ihre Reiselust und ihren drängenden Wunsch nach Selbständigkeit an. Anhand einiger sehr detailliert gezeichneter Charaktere macht Astrid Fritz aus diesem historischen Dokument eine schillernde Lebensgeschichte einer faszinierenden, mutigen jungen Frau, die gegen alle Konventionen ankämpft und ihren eigenen Weg geht. Eine ausgezeichnete Schilderung der Lebensumstände, der Sitten und Gebräuche, der medizinischen Versorgung, der Zünfte und Menschen dieser Zeit bereichert diesen Roman und macht ihn zu einem ganz besonderen Leseerlebnis. Eine doppelseitige Landkarte jeweils auf der ersten, und der letzten Seite, veranschaulichen den Reiseweg der Protagonistin. Ganz besonders hervorheben möchte ich auch das überaus hilfreiche 9seitige Glossar, das Ausdrücke und alte Bezeichnungen detailliert erläuterte und so für den Leser verständlich macht. Die wunderschöne Umschlaggestaltung meiner gebundenen Ausgabe zeigt eine junge Frau mit traurigem Blick vor einem tiefgrünen Vorhang, auf dem in kunstvoll geschwungenen, in Goldfarbe gehaltenen Lettern, der Name der Autorin, Titel und Genre eingedruckt wurden. Ein Lesebändchen erleichtert es, eine bestimmte Stelle zu markieren, nachdem man das Buch zugeklappt hat … was jedoch angesichts des fesselnden Inhaltes beinahe unmöglich scheint. Dies war mein erstes Buch von Astrid Fritz, mein Einstieg in die Welt des historischen Romans aus den Augen dieser Autorin, zu deren Werk „Die Vagabundin“ sich demnächst auch all ihre anderen Bücher gesellen werden. Ich kann dieses Buch jedem Fan des Historischen Romans uneingeschränkt ans Herz legen und vergebe 5 Bewertungssterne für diese bereichernde Lektüre.