Als Erstlingswerk sicherte „Der Name der Rose“ dem italienischen Romanciers und Semiotikprofessors Umberto Eco auf Anhieb einen Platz unter den angesehensten zeitgenössischen Schriftstellern.
Der englische Franziskaner William von Baskerville reist mit dem ihm anvertrauten Novizen Adson von Melk im November 1327 zu einer Benediktinerabtei im nördlichen Apennin. Dort soll er ein Kolloquium von Vertretern der Kurie und des Franziskaner-Ordens vorbereiten, wobei es um die Frage geht, ob die Kirche besser arm wäre, oder ob sie mit Macht und Reichtum prunken soll, wie es der in Avignon residierende Papst tut. Im Kloster sterben innerhalb weniger Tage fünf Personen: der Buch- Illustrator, der Übersetzer, der Bibliotheksgehilfe, der Apotheker und der Bibliothekar selbst. Der Abt bittet den für seinen Scharfsinn bekannten Besucher, die Todesfälle aufzuklären, wobei Adson ihm hilft. Obwohl oder gerade weil ihnen der Zugang zur Klosterbibliothek verwehrt ist, vermuten sie dort schon bald den Schlüssel für die Lösung des Rätsels.
Lebendige Schilderungen verknüpft mit philosophischen Reflexionen
Umberto Eco hat die atemberaubende Geschichte, die sich im November 1327 in einem norditalienischen Kloster zugetragen haben soll, in eine doppelbödige Rahmenhandlung eingebettet. Ein gewisser Abbé Vallet überlieferte in seinem Werk eine mittelalterliche Handschrift, bei dem es sich um den Lebensbericht des Mönchen Adson von Melk handelte.
Der Autor warnt den Leser der deutschen Ausgabe: „Der geneigte Leser möge bedenken: Was er vor sich hat, ist die deutsche Übersetzung meiner italienischen Fassung einer obskuren neugotisch-französischen Version einer im 17. Jahrhundert gedruckten Ausgabe eines im 14. Jahrhundert von einem deutschen Mönch auf Lateinisch verfassten Textes.“
Als Kriminalroman angelegt bietet das Werk jedoch weit mehr als lediglich die detektivische Aufklärung mysteriöser Todesfälle. So nimmt Eco den Leser gefangen, indem er ihn tief in das mittelalterliche Leben, das philosophische und theologische Denken dieser Zeit und ihre Moral eintauchen lässt. Er entführt ihn in einen historischen Konflikt von grosserTragweite. Lebendige Schilderungen der Lebenswirklichkeit des mittelalterlichen Menschen verknüpft er äusserst geschickt mit philosophischen Reflexionen über zentrale Lebensthemen wie Glauben, Liebe, Leidenschaft und Tod.
Ein historischer Roman in Form eines Kriminalromans
Der Wälzer zieht den Leser in seinen Bann – trotz langatmiger Einschübe, die als Erklärung gedacht sind und zugleich den bedächtigen Rhythmus des Lebens in der mittelalterlichen Abtei wiedergeben sollen. Auch zahlreiche lateinische Zitate würzen die Lektüre des Romans (mit Übersetzung im Anhang). Nicht vor der Schlussszene durschaut der Leser, wie witzig, intelligent und fantasievoll der historische Roman in Form eines Kriminalromans aufgebaut ist.
Spannend und gelehrt zugleich
Viel ist die Rede von Wollust und Unzucht, von der Hoffart des Geistes, von Häretikern, von Chiromanten, simonistischen Priestern und anderen Sonderlichkeiten, die man in einem Roman nicht unbedingt erwarten und lesen wollen würde. Wer interessiert sich schon für langatmige Predigten über den Antichristen? Wer für die Unterschiede zwischen Waldensern und Albigensern und all den anderen christlichen Sekten des Mittelalters, die hier so genau aufgezeigt werden? Erstaunlicherweise ist es Umberto Eco gelungen, aber gerade damit ein Millionenpublikum anzulocken. Als Professor für Philosophie und Semiotik hat es Eco sich nicht nehmen lassen, weite Teile seines dickleibigen Werks mit sophistischen Betrachtungen zu füllen. So ist sein Buch alles auf einmal: Krimi, Sozialgeschichte und philosophisches Traktat, spannend und gelehrt zugleich.
Animation zur Lektüre weiterer Texte
So, wie der Roman mit einem Zitat beginnt und auch mit einem Zitat aufhört, so zitiert der gesamte Text unentwegt und verweist somit auf unzählige weitere Texte: auf das Hohelied Salomons, auf Sherlock Holmes oder auf Jorge Luis Borges. So soll der Leser zur Lektüre weiterer Texte animiert werden.
Dinge sind vergänglich, es bleiben nur Namen
Auch ein Lehrsatz der Semiotik wird hierin verdeutlicht: Zeichen sind Leerstellen, die ausgefüllt werden müssen. So ist auch der letzte Satz des Romans zu verstehen, der zugleich den Titel erklärt: „Stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus.“ – „Die Rose von einst steht nur noch als Name, uns bleiben nur nackte Namen.“ Dinge sind vergänglich, nur ihre Namen bleiben.
Hoffnung, die Welt zu ergründen
Eco hat ein Buch über Bücher geschrieben, darüber, was Erzählen bedeutet und ob sich die Welt überhaupt in Worte fassen lassen kann, ob sie begriffen werden kann. Nicht zufällig erweist sich die sagenumwobene Bibliothek der Mönche als ein Labyrinth, in dem man sich leicht verlaufen kann. Hier treffen Willam und Adson auf eine „Wissenschaft im Dienst der Verschleierung statt der Erleuchtung“. Am Ende geht die Bibliothek in Flammen auf – und damit die Hoffnung, die Welt wirklich ergründen zu können, wenn es diese denn jemals gegeben hat.