"*Das Denkmal zum Nachdenkmal machen" - ein Ringen über die angemessene Auseinandersetzung mit dem Kolonialerbe
Hermann von Wissmann war als Reichskommissar und Gouverneur in Deutsch-Ostafrika beteiligt an Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt. Er ist bekannt als „Löwe von Afrika“ und gilt als mutiger Held, weil ...
Hermann von Wissmann war als Reichskommissar und Gouverneur in Deutsch-Ostafrika beteiligt an Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt. Er ist bekannt als „Löwe von Afrika“ und gilt als mutiger Held, weil er als erster Deutscher den afrikanischen Kontinent durchquerte. An ihn erinnern nicht nur zahlreiche Bücher und Straßennamen. Für „den großen Afrikaner“ wurden auch zwei Denkmäler gestiftet: in seiner Geburtsstadt Bad Lauterberg und in Daressalam.
Ursprünglich in Ostafrika errichtet, später nach Hamburg verschifft, gestürzt, wieder aufgestellt, beschmiert, Proteste und Debatten auslösend, glorifiziert, weggeräumt, vergessen: Die wechselvolle Geschichte des Monuments aus Tansania steht im Mittelpunkt des Buches „Stand und Fall – Das Wissmann-Denkmal zwischen kolonialer Weihestätte und postkolonialer Dekonstruktion“ von Hannimari Jokinen, Flower Manase und Joachim Zeller.
Für viele sind die Denkmäler Orte der Erinnerung und Gedenkveranstaltungen – so in Bad Lauterberg, wo das zweite Ehrenmal noch immer seinen Platz hat. Andere Stimmen befürworten zwar das Stehenlassen des umstrittenen Objekts, aber nur, wenn Infotafeln über den brisanten Hintergrund aufklären. Wieder andere sprechen sich für die Entfernung der Statue aus dem öffentlichen Raum aus oder wünschen zumindest eine kritischere wissenschaftliche und künstlerische Auseinandersetzung.
Das Denkmal zum Nachdenkmal machen, fordert die Künstlerin Hannimari Jokinen mit ihrem Projekt www.afrika-hamburg.de. Der Sammelband stellt die Aktion vor und wirft verschiedene Fragen auf: Wem wird ein Denkmal gesetzt und wem nicht? Wo gibt es weitere koloniale Spuren in Ostafrika und Deutschland? Und welchen Anspruch stellt die tansanische Politik?
Die einzelnen Beiträge sind interessant: Historische Forschung wird mit künstlerischen und zivilgesellschaftlichen Perspektiven ergänzt. Die Texte sind klar verständlich geschrieben. Einiges wiederholt sich jedoch. Andere Aspekte haben nur entfernt mit dem Thema „Wissmanndenkmal“ zu tun und hätten auch weniger seitenfüllend dargelegt werden können. Eindrucksvolle Schilderungen und Fotografien von Zeitzeugen sowie Tenzi (Swahili-Gedichte) lockern die einzelnen Kapitel auf. Ein Highlight ist der Beitrag über koloniale Bauwerke und Denkmäler im heutigen Tansania.
Bei der Lektüre wird exemplarisch an der Person Hermann von Wissmann erkennbar, wieviel Leid und Gewalt die Deutschen nach Ostafrika brachten und mit welcher Ignoranz und Überheblichkeit sie herrschten. Das Buch zeigt: Es bleibt ein Ringen um Erinnerung und Vergessen. Eine angemessene Auseinandersetzung mit dem Kolonialerbe muss von Deutschen und Tansanier:innen gemeinsam bewältigt werden.
Rezension zuerst erschienen in HABARI 03/2022 "Sprachen" vom Tanzania-Network.e.V.