Plötzlich alleine....
Marita ist 52 Jahre alt, als ihr Mann Rolf plötzlich stirbt. Marita und Rolf waren ein Team, das gemeinsam viel Energie in Rolfs berufliches Projekt gesteckt hat. Als Koch und Autor veröffentlichte Rolf ...
Marita ist 52 Jahre alt, als ihr Mann Rolf plötzlich stirbt. Marita und Rolf waren ein Team, das gemeinsam viel Energie in Rolfs berufliches Projekt gesteckt hat. Als Koch und Autor veröffentlichte Rolf Kochbücher. Nun muss Marita sich völlig neu orientieren. Mit Tochter Annalena, die schon lange ausgezogen ist, und mit Freund Torsten zusammen lebt, versteht sich Marita mässig. Als Marita sich dazu überwindet, das gemeinsame Haus zu verkaufen und in eine Wohnung zu ziehen, soll das ein Neubeginn sein. Erst erstaunt, dann erfreut, nimmt sie zur Kenntnis, dass die ehemaligen Patienten ihrer Vormieterin, die in der Wohnung eine Lebensberatung eingerichtet hatte, immer noch vorbei kommen. Denn Marita sucht verzweifelt nach neuen Perspektiven, die ihrem Leben Sinn geben.
Symbolisch für die Ehe zwischen Marita und Rolf, empfand ich die Mutter - Tochterbeziehung. Ich befürchte, das einzige Kind Annalena, war durchgängig das fünfte Rad am Wagen. Marita und Rolf, ein eingespieltes Team, das keinen Platz für die gemeinsame Tochter hatte. Und so ist Marita auch sehr unwillig gegenüber ihrer Tochter, die eigentlich nur helfen möchte. Als Leser erfährt man, da das ganze Buch über in Ich Perspektive aus der Sicht von Marita geschrieben ist, wie sie über ihre Tochter denkt. Teilweise empfand ich das als unterste Schublade, und die Gehässigkeit hat mich echt schockiert.
Doch Marita hat auch eine andere, feinfühlige und sensible Seite. Was man als Leser erkennt, als es darum geht, dass Marita als Hobbypsychologin in ihrer neuen Wohnung Menschen berät. Frauen, die von ihrer Familie ausgenutzt und als Reinigungpersonal missbraucht werden. Oder Männer, die Probleme mit der Dominanz ihrer Partnerinnen haben. Und bei all den verschiedenen Klienten wabert oft das Thema Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann. Ein durchgängiges und hochaktuelles Thema.
Marita sucht ein Ziel in ihrem Leben. Etwas, an das sie sich klammern kann, nachdem ihr Leben nach dem Tod ihres Mannes aus den Fugen geraten ist. Studium? Märchentante? Oder doch ganz eine andere Richtung? Sie lechzt nach Struktur in ihrem Leben, was ich absolut nachvollziehen konnte in ihrer Situation.
Die Autorin hat die Figur Marita mit vielen Facetten gezeichnet. Von äusserst zynisch und bissig …. wenn ich nur daran denke, wie sie ihre Freundinnen degradiert. Bis zu melancholisch und traurig …. das geliebte Haus aufgeben und in eine Wohnung ziehen, ist sicher nicht einfach. Und dann wieder äusserst witzig und mit viel Humor gesegnet. Was sich vor allem in den langen Ueberlegungen über ihre eigene Situation heraus kristallisiert.
Die Autorin Birgit Schlieper hat einen leichten und gut zu lesenden Schreibstil. Ab und zu wackelt meiner Meinung nach der Plot. So konnte ich zum Beispiel nicht nachvollziehen, dass die Patienten der Vormieterin einfach so, einer fremden Frau in ihren Privaträumen ihre Sorgen anvertrauen, ohne misstrauisch zu werden. Dass dort keine Praxis mehr ist, merkt man normalerweise ja schon an der Inneneinrichtung. Dieser Punkt empfand ich als konstruiert.
Das Buch ist mit 255 Seiten eher kurz. Aber ehrlich gesagt, gerade richtig. Denn ich denke nicht, dass mich Marita mit ihrer zeitweilen bissigen Art noch viel länger hätte bei der Stange halten können.