Cover-Bild Ein Akt der Vergebung
19,90
inkl. MwSt
  • Verlag: Edition Virgines
  • Themenbereich: Geschichte und Archäologie - Geschichte
  • Genre: keine Angabe / keine Angabe
  • Seitenzahl: 128
  • Ersterscheinung: 06.05.2013
  • ISBN: 9783944011073
Bernd Müller, Wolfgang Lorenz

Ein Akt der Vergebung

Werner Pfingst/Finks - NS-Emigrant aus Oberkassel
Der Retter von Düsseldorf-Oberkassel

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Lesejury-Facts

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Veröffentlicht am 24.01.2019

Bemerkenswerte Recherche über ein deutsch-jüdisches Schicksal und die Macht der Versöhnung

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In Düsseldorf-Oberkassel befindet sich der angenehme, recht unauffällige Werner-Pfingst-Platz. Ich habe bei meinem Besuch in Oberkassel den Namen des Platzes nicht bemerkt und hätte auch gar nicht gewußt, ...

In Düsseldorf-Oberkassel befindet sich der angenehme, recht unauffällige Werner-Pfingst-Platz. Ich habe bei meinem Besuch in Oberkassel den Namen des Platzes nicht bemerkt und hätte auch gar nicht gewußt, welch interessante Geschichte dahinter steckt. Zum Glück hat mir eine liebe Bekannte die Geschichte erzählt und mir dann dieses bemerkenswerte Buch geliehen. Werner Pfingst ist ein ehemaliger Einwohner Oberkassels, dem es zum Glück gelang, der Nazidiktatur rechtzeitig in die USA zu entfliehen. Leider war dieses Glück nicht all seinen Familienangehörigen vergönnt und so berichtet dieses Buch über viele deutsch-jüdische Schicksale, einige davon sehr tragisch, einige mit glücklichem Ende. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie die menschenverachtende Diktatur in eine deutsche Familie eingriff, sie auf ihr Jüdischsein reduzierte und sie dafür brutal verfolgte. Besonders beeindruckend ist es, daß dieses so sorgfältig recherchierte Buch die Arbeit dreier Gymnasialschülerinnen (der ehemaligen Schule Werner Pfingsts), eines Lehrers und eines Polizeibeamten ist. Unglaublich, was diese ungewöhnliche Kooperation an interessanten Fakten entdeckt und so gelungen in Buchform gebracht hat.

Das Buch beginnt mit der Lebensgeschichte des Vaters von Werner Pfingst, berichtet über dessen beruflichen Aufstieg und das Familienleben, welches bereits vom 1. Weltkrieg durcheinandergewirbelt wurde. Man lernt nach und nach die sechs Kinder der Familie kennen, Werner und seine fünf Schwestern. Auch interessante Fakten über historische Hintergründe, das Stadtleben (damals noch in einer Stadt in Ostpreußen, später in Düsseldorf), die Lebensumstände einer gutbürgerlichen, finanziell gut dastehenden Familie werden anschaulich dargestellt. Jeder Fakt ist mit einer Fußnote belegt und zeigt, wie sorgfältig recherchiert wurde, wie viele Dokumente gesichtet wurde. Es muß eine unglaubliche Arbeit gewesen sein und es hat mich tief beeindruckt, daß Schülerinnen soviel Zeit und Enthusiasmus in diese interessante Projekt gesteckt haben.

Der allmählich immer engere Griff der Nazidikatur und die wachsenden Einschränkungen der Familie werden eindrücklich beschrieben. Auch wenn man die historischen Fakten kennt, ist es beklemmend, sie an konkreten Personen dargestellt zu sehen. Die vielfältigen Wege der Pfingst-Kinder (zu dem Zeitpunkt junge Erwachsene), mit den Einschränkungen umzugehen und Emigrationsmöglichkeiten zu finden, sind interessant zu verfolgen. Es gibt viele Zitate aus damaligen Schriftstücken, wie zB Werner Pfingsts Zulassungsgesuch zum Abitur oder auch aus Emails seiner Tochter, die für dieses Buch befragt wurde. Dadurch wird gerade Werner Pfingst sehr lebendig, man lernt ihn gut kennen. Er macht 1933 Abitur und es ist auch sehr interessant, über das damalige Schulsystem zu lesen, allgemeine Hintergründe zu erfahren.

Das Kapitel über die Familienmitglieder, die dem Holocaust zum Opfer fallen, ist beklemmend. Auch hier wird die Angst, die immer größer werdende Gefahr, aber auch die gelegentliche Hilfsbereitschaft gut geschildert, ebenfalls wieder in einer gelungenen Kombination mit allgemeinen historischen Hintergründen und Zeitzeugenberichten.

So verfolgt man die Schicksale der Familie Pfingst, einer ganz normalen deutschen Familie, deren Leben durch die abscheuliche Diktatur gänzlich aus dem Normalen herausgerissen wurde. Obwohl Werner Pfingst unter der Diktatur selbst gelitten und zudem noch mehrere Familienmitglieder verloren hat, tritt er bei einem Besuch in Düsseldorf in den 60er Jahren seinen ehemaligen Schulkameraden offen und freundlich gegenüber - es werden alte Freundschaften gefestigt und neue begründet. Dies wird im Buch mit einem sehr schönen Satz beschrieben: "Aus einer alten Schulfreundschaft zweier Jungen ist eine Verbindung der Völkerfreundschaft geworden."

So ist dieses in zugänglichem angenehmem Stil geschriebene Buch, mit reichhaltigem Unterlagen- und Fotomaterial eine sehr lesenswerte Lektüre, die zeigt wie sich Geschichte auf Menschen auswirkt, wie sie damit umgehen, leider manchmal auch daran zerbrechen. Es ist auch ein Beispiel für die bemerkenswerte Größe von Werner Pfingst und der Macht der Vergebung. Zum Abschluß ein Zitat aus dem Buch: "Denn seine jüdische Familie hatte im Krieg einen schrecklichen Blutzoll unter dem verbrecherischen Regime zahlen müssen. Pfingst hätte Gründe genug gehabt, sich ganz anders zu verhalten. Er hat sich aber für Milde entschieden."