Reise in ein vergangenes Algerien mit moralischem Kompass als Führer
1856: Frankreich sinnt darauf, seine Macht am afrikanischen Kontinent weiter auszubauen. Genauer gesagt steht die endgültige Unterwerfung Algeriens kurz bevor. Doch um einen hohen Verbrauch an eigenem ...
1856: Frankreich sinnt darauf, seine Macht am afrikanischen Kontinent weiter auszubauen. Genauer gesagt steht die endgültige Unterwerfung Algeriens kurz bevor. Doch um einen hohen Verbrauch an eigenem Menschenmaterial zu verhindern gilt es den Mahdi, das spirituelle Oberhaupt der algerischen Saharavölker, auszuschalten oder zumindest zu diskreditieren. Denn dieser ist es, der den heiligen Krieg, den Dschihad ausrufen könnte und somit die französischen Pläne zusätzlich erschweren könnte. Da kommt Henry Lambert ins Spiel. Er ist ein bekannter Trickkünstler und wird von der französischen Regierung nach Algerien entsannt, um mit seinen Zaubertricks der algerischen Bevölkerung zu demonstrieren, dass Frankreich den größeren, mächtigeren, von Allah geküssten Magier auf seiner Seite hätte. Begleitet wird er dabei von seiner jungen Ehefrau, die zunehmend vom Zauber der fremden Kultur und der Arroganz der französischen Besatzer verwirrt wird.
Henry Lamberts Frau Emmeline wird schnell zum Hauptcharakter des Buches. Man begleitet sie bei der Reise durch Algerien und wird unmittelbar mit ihren Erfahrungen, ihrer Wahrnehmung und ihrer Gefühlswelt konfrontiert. Das Buch ist in zwei Teile geteilt. Etwa das erste Drittel beschäftigt sich mit einer noblen Woche, die das Ehepaar Lambert in Mitten des Kaisers und eines elitären Kreises Adeliger verbringt, ein erster Schritt, den Zauberer für die Mission zu begeistern. Hier erscheint Emmeline noch recht naiv, muss sich erst einmal in einer Gesellschaft zurechtfinden, mit der sie zuvor kaum Berührungspunkte hatte, und die ihr mit deren Verhalten und der strengen Etikette nicht gerade sympathisch erscheinen. Zugegebenermaßen hatte ich mit diesem ersten Teil so meine Schwierigkeiten. Wir starten sehr ruhig in die Geschichte, nicht sehr viel passiert in Frankreich, was als spannend aufgefasst werden könnte. Vielmehr liegt der Fokus auf einer Milieustudie der Feierlichkeiten bzw. deren Teilnehmer:innen, die sich insgesamt als nicht so elitär herausstellen, wie sie es gerne wären, und einer Charakterstudie, wie sich die Umgebung auf Emmeline auswirkt.
Diese Milieustudie geht im zweiten Teil nicht verloren, nur dass der wir uns hier in Algerien wiederfinden. Und schon wird das Buch interessanter, auch wenn es immer noch recht ruhig von statten geht. Dafür ist sicherlich schon einmal das exotische Umfeld verantwortlich. farbenfroh wird die neue, unbekannte Umgebung geschildert, die man zusammen mit Emmeline erlebt. Man bekommt das Algerien des Jahres 1856 sehr facettenreich präsentiert und durch die Gedanken Emmelines wird das dortige Leben, explizit die Religiosität und die Spiritualität in direkten vergleich zu Frankreich gesetzt. fahrt nimmt die Geschichte auch auf, dass man nun mitverfolgt, wie Henry seine Shows gestaltet, sich immer neuen Gegebenheiten adaptieren muss, und wie die Darbietungen vom algerischen Publikum aufgenommen werden. Dennoch verliert das Buch nicht seinen ruhigen Tonus. Sicherlich auch, weil wir Emmeline eine sehr besonnene Charakterin gefunden haben, die als Linse der Betrachtung fungiert. Dinge werden anders wahrgenommen und bewertet, als wenn wir vielleicht einen anderen Charakter als Beobachtungsfokus gehabt hätten.
Durch Emmelines Augen übt Brian Moore auf subtile Art Kritik am Kolonialismus. Immer wieder merkt man, dass Emmeline es für einen Fehler hält, mit ihrem Mann sich in diesen Konflikt eingemischt zu haben, generell, dass Europa sich in das algerische Leben eingemischt hat. Sie sieht Kultur und Spiritualität gefährdet und der Gewinn von Rohstoffen und Land kann nicht mit dem durch die Besatzung entstehenden Leid nicht aufgewogen werden.
Ihr Mann hingegen legt eine Charakterentwicklung in die ganz andere Richtung hin. War er am Anfang des Buches ein zurückgezogener Mann, der sich voll und ganz auf seine technischen Spielerein und die Entwicklung neuer mechanischer Puppen fokussiert hatte. So findet sich am Ende ein Henry Lambert, der getrieben vom Wunsch nach Anerkennung und Ruhm ist. Schein und Sein driften immer weiter auseinander, sodass er mehr und mehr die wichtigen Dinge des Lebens aus den Augen verliert. Kurzum: er lässt sich von der Aussicht als größter Magier der Welt zu gelten, immer weiter von den Franzosen einlullen, die dieses Bestreben gesät haben, und dieses nun früchtebringend ausnützen.
Im Generellen stellte sich für mich die Frage nach dem Zweck der Unternehmung. Immerhin basiert die Idee des französischen Kolonialregiemes darauf, mit der Hilfe Henry Lamberts die algerische Bevölkerung dermaßen einzuschüchtern und von ihren bisherigen religiösen Führen abzubringen, sodass diese sich diese widerstandslos kolonialisieren lassen würden. Einem rassistischen Menschen mag dies einleuchten, immerhin liegt diesem Gedanken die Überlegenheit der europäischen Kultur zugrunde. Für alle anderen käme ein Scheitern dieser Pläne auch wenig überraschend.
Nichtsdestotrotz, dass das Buch keinen großartigen Spannungsbogen aufweist würde ich es dennoch als lesenswert beschreiben. Zwar muss man sich auf das Buch einlassen und es wird nur mit Leser:innen funktionieren, die bereit sind, sich auf eine ruhige und reflektierende reise einzulassen, die den eigenen Horizont erweitert. Doch gerade mit dieser Intelligenz, die das Buch ausstrahlt, konnte es mich berühren.