Eine "Querdenkerin" ohne Querdenker-Wahnsinn
In der 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts traten Alice Schwarzer (Der kleine Unterschied) und Esther Vilar (Der dressierte Mann) in Fernseh-Talkshows gegeneinander an. Die eine Autorin sah in den Frauen ...
In der 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts traten Alice Schwarzer (Der kleine Unterschied) und Esther Vilar (Der dressierte Mann) in Fernseh-Talkshows gegeneinander an. Die eine Autorin sah in den Frauen das unterdrückte Geschlecht, die andere stritt auf Seiten der Männer. Das die Wahrheit in der Mitte liegt, war damals mein Eindruck, und in "Die Masken der Sexualität" Camille Paglia, Mitte der 80er erschienen, fand ich meine geistige Heimat.
Dreißig Jahre später in 2023 hat sich die in den Medien omnipräsente Alice Schwarzer von einer Radikalemanze zur Putin-Versteherin gewandelt und verbreitet Verschwörungstheorien. Esther Vilar hingegen, aus einer jüdischen Familie stammend, engagierte sich in der Giordano-Bruno-Stiftung, studierte Medizin, Psychologie und Soziologie, schrieb weitere Bücher, auch Romane, und Theaterstücke. Die empfindet sich nicht als Frauen- oder Männerrechtlerin, sondern als Menschenrechtlerin, siehe Interview von 2021 auf YouTube.
Camille Paglia, amerikanischen Hochschulprofessorin, die sich als bisexuell bezeichnet und ihre Kinder in einer lesbischen Ehe großzieht, wehrt sich einerseits entschieden gegen die Vereinnahmung der Frauenemanzipation durch den radikalen Feminismus, und andererseits gegen Vereinnahmung durch neurechte Verlage, wie 2018 in Deutschland geschehen, siehe Artikel in DIE ZEIT.
"Die Masken der Sexualität" ist lesenswert, gerade heutzutage in 2023, wo Lagerdenken vorherrscht und das Differenzieren fast zur Randerscheinung geworden ist.