Definitiv ein Jahreshighlight
Wien im Jahr 1811: Hier lebt Agathe-Sidonie Laborde, die ehemalige Vorleserin ihr tristes Dasein. Zwar liegt die französische Revolution bereits 20 Jahre zurück, doch trotzdem trauert Sidonie noch immer ...
Wien im Jahr 1811: Hier lebt Agathe-Sidonie Laborde, die ehemalige Vorleserin ihr tristes Dasein. Zwar liegt die französische Revolution bereits 20 Jahre zurück, doch trotzdem trauert Sidonie noch immer den guten alten Zeiten am pompösen Hof von Ludwig XVI. nach: der höfischen Etikette, der Pracht und dem Glanz, aber auch der unumgänglichen Unterwürfigkeit des Volkes und der Dienerschaft den Mitgliedern des Hofstaates gegenüber. Vor allem trauert Sidonie aber Marie-Antoinette hinterher, die Sidonie in ihrem Leben immer einen festen Halt gegeben hat, ohne sich dessen zu bewusst zu sein. Und so schweifen ihre Gedanken wieder in die Zeit ab, in der sich ihr Leben so vollkommen verändert hat: die letzten Tage von Versailles und dem ancienne Regieme.
Thematisch ist das Buch sicherlich ganz etwas besonderes. Die Thematik des Untergangs dieser dekadenten Gesellschaft wird so auch stilistisch unterstreicht. Fast das komplette Buch besteht nur aus Nacherzählungen und Gedanken Sidonies, die dem Buch seinen Charakter und seine Authentizität verleihen. Gepaart mit dem himmlischen Schreibstil der Autorin - bunt, süffig und umschreibend - bedarf es keiner Spannung in der Geschichte mehr. Man fliegt auch so durch die Seiten und ergötzt sich daran, was Sidonie ihren Leserinnen und Lesern über die Kuriositäten des Hofes zu berichten weis. Man bekommt so den Tagesablauf eines niederen Höflings sehr genau geschildert und kann sich sehr gut vorstellen, wie das Leben in Versailles ausgesehen haben muss. Und trotzdem kommt dann im letzten Drittel noch einiges an Spannung auf, als sich der Hof bereits in Heillosem Chaos versinkt und Sidonie sich gezwungen sieht, gegen ihren Willen den Hof und damit ihre Königin zu verlassen. Ein weiterer Grund, der dieses Buch für mich zum Highlight macht, ist sicherlich auch unsere Hauptprotagonistin Sidonie Laborde. Sie fesselt die Leserschaft gleich mit ihrer sympathischen und einvernehmlichen Art an das Buch. Alleine mit ihren Gefühlen für die Königin konnte sie bei mir hoch punkten. Man bekommt auf eine deutliche Weise zu spüren, dass Sidonie mehr als nur Treue für Marie-Antoinette empfindet, und so verliert sie langsam ihre Fähigkeit, diese Person zu hinterfragen und zu reflektieren. Mit dieser manipulierten und Weltfremden - was doch gerade den Adel der damaligen Zeit widerspiegelt - hat Chantal Thomas sicherlich eine der einzigstartigen Protagonisten gezeichnet, über die ich je gelesen habe, und sicherlich auch, über die ich je lesen werde.
Das Buch bietet so viel Unterhaltung und Anregungen zum nachdenken und ich bin so begeistert, dass es mir schwer fällt, meine Gedanken in Worte zu fassen. Fest steht auf alle Fälle, dass einem die Geschichte ein Tor in eine längst vergangene Welt öffnet.