Der afrikanischen Kultur ganz nah
Chinua Achebes Alles zerfällt habe ich im Rahmen eines Seminars an der Uni gelesen. Ich bin ohne genaue Vorstellungen an den Roman herangegangen, da ich absolut keine Ahnung hatte, was mich erwarten würde. ...
Chinua Achebes Alles zerfällt habe ich im Rahmen eines Seminars an der Uni gelesen. Ich bin ohne genaue Vorstellungen an den Roman herangegangen, da ich absolut keine Ahnung hatte, was mich erwarten würde. Letztendlich muss ich sagen, dass mich das Buch wirklich überrascht hat. Alles zerfällt gehört zur „Weltliteratur“, denn die Beschreibung des Kolonialismus, der Anpassung, aber auch des Widerstandes bietet vielen Ländern einen literarischen Mehrwert. Dank Chinua Achebes Roman können wirtschaftliche und politische Konflikte in der afrikanischen Kultur literarisch aufgearbeitet und einem breiten Publikum zur Verfügung gestellt werden.
Okonkwos Vater, Unoka, war zu seiner Zeit kein angesehener Mann: als Musiker und hoch verschuldet hatte er die Lacher der Dorfbewohner auf seiner Seite. Da er auch seinem Sohn nichts vererben konnte, wird Okonkwo oft auf das Versagen seines Vaters angesprochen und verspricht sich, niemals so zu werden wie er. Seit seiner Kindheit versucht der Protagonist, Anzeichen von Schwäche zu unterdrücken und arbeitet hart daran, sich den Respekt zu verdienen, den Unoka nie erhalten hat. Okonkwo muss sich sein Leben selbst aufbauen; als junger Mann schuftet er sich fast zu Tode, doch sein Ehrgeiz zahlt sich aus: zu Beginn des Romans ist er ein angesehener Wrestler, Ehemann von drei Frauen und Vater von acht Kindern. Er hat all das erreicht, was sein Vater niemals geschafft hätte, aber sein Erfolg hinterlässt Spuren. Im Dorf ist Okonkwo für seine strenge, aggressive und temperamentvolle Art bekannt. Regelmäßig schlägt er seine Ehegattinnen und Kinder, denn er will zum einen den Respekt seiner Familie gewinnen, zum anderen möchte er, dass vor allem sein ältester Sohn Nwoye nicht so aufwachsen muss wie er.
Als der junge Ikemefuna als Ausgleich für ein Mordopfer nach Umuoafia gelangt, nimmt Okonkwo ihn in seinem Haushalt auf und erfreut sich daran, dass sich der Junge mit seinem Sohn Nwoye anfreundet. Der älteste Sohn des Wrestlers gleicht in seiner Art seinem Großvater, der allen als Versager bekannt ist, doch durch Ikemefuna wird Nwoye selbstbewusster. Schon bald aber droht Okonkwos erfolgreiches Leben zu scheitern, denn das Orakel bestimmt, dass Ikemefuna sterben muss. Obwohl dem Protagonisten geraten wird, sich aus dieser Angelegenheit herauszuhalten, übt er sogar den tödlichen Schlag aus, denn sein Volk sollte niemals annehmen, dass er schwach sei.
Von diesem Zeitpunkt an scheint ein Unheil nach dem nächsten Okonkwos Familie zu überfallen. Bei einer Beerdigung löst sich aus Versehen ein Schuss aus seiner Waffe, der einen Jungen tödlich verletzt. Mit dem Mord an einem Stammesmitglied verstößt er gegen eine der höchsten Regeln seines Klans und wird somit für sieben Jahre aus seiner Heimat verwiesen. Noch dazu dringen nach Okonkwos Abwesenheit weiße Männer in das Land ein, zerstören ganze Dörfer und zwingen den Bewohnern einen fremden Glauben auf …
In seinem Roman Alles zerfällt berichtet Chinua Achebe von einem Leben, das größtenteils von Superstition beherrscht wird. Er erzählt von Macht, Anpassung, Kolonialismus und Gott in seinen unterschiedlichsten Formen. In den ersten Kapiteln hat Okonkwo mich ziemlich eingeschüchtert, aber zugleich war ich auch von seiner Kultur begeistert. Chinua Achebe beschreibt den Lebensstil in einem afrikanischen Dorf des 18. Jahrhunderts unglaublich realistisch und es macht Spaß, mit jeder Seite mehr über die Bewohner und ihren Glauben zu erfahren.
Das Thema der Kolonialisierung ist eigentlich Teil der Haupthandlung, doch entfaltet sich die Story hier erst weit am Schluss. Es war erschreckend zu bemerken, wie verheerend es sein kann, wenn zwei unterschiedliche Kulturen und Religionen aufeinander treffen. Die Anpassung, aber auch der Widerstand der Afrikaner wird fließend in den Verlauf des Romans eingebaut, sodass man ihre Entscheidungen und Verzweiflung über die Veränderungen nachvollziehen kann.
Mit verschiedenen Ereignissen gestaltet Chinua Achebe das Leben des afrikanischen Klans interessant und spannend. Okonkwos Leben, seine Eigenheiten und die Bräuche seines Dorfes sind im 21. Jahrhundert unvorstellbar und ich denke genau deswegen fand ich den Roman so gut – die Kultur sowie die Besetzung und die damit einhergenden wirtschaftlichen Veränderungen eines afrikanischen Stammes von vor dreihundert Jahren kann man noch heute erleben, man muss nur das Buch Alles zerfällt aufschlagen.