In der Hitze der Nacht
Als Cop in einer langsam überalternden Stadt fährt Harley Jensen Nachts seine Runden, kontrolliert immer und immer wieder die gleichen verlassenen Höfe, darunter auch den, auf dem seine Familie früher ...
Als Cop in einer langsam überalternden Stadt fährt Harley Jensen Nachts seine Runden, kontrolliert immer und immer wieder die gleichen verlassenen Höfe, darunter auch den, auf dem seine Familie früher gelebt hat. Auffällig oft gerät er bei seinen Fahrten mit Paul Reddick aneinander, der junge Mann ist nie weit wenn es irgendwo Ärger gibt und ihn und Harley verbindet eine lange Geschichte.
Die Autorin liefert hier einen, gleich in mehrere Hinsicht ungewöhnlichen und untypischen Krimi. Schon mit ihren ersten Sätzen hat sie mich kalt erwischt, sowas erwartet man eigentlich in einem Krimi nicht unbedingt und ich lese viele davon.
"Als Harley nach Osten in Richtung des Reviers fuhr, brach der Morgen an wie das Stillleben eines Feuerscheins, auf dem die Wolken sich zurückzogen, um einen zerklüfteten, honigfarbenen Sandberg anzustrahlen." Wie toll ist denn bitte dieser Satz?
Wenn man nun aber von diesem Satz darauf schließt, das es hier verklärt und romantisch wird, wird man enttäuscht. Romantisch ist in diesem Buch rein gar nichts. Chris Harding Thornton könnte mit ihren Figuren und dem Schauplatz ihrer Geschichte kein größeres Kontrastprogramm fahren. Die Geschichte spielt im heißen, staubig trockenen Nebraska, man spürt hier fast die stehende Hitze in Pams Wohnwagen, fühlt, den Schweisstropfen der an ihrer Kniekehle herunterläuft, kann die Trostlosigkeit mit Händen greifen. Neben Harley und Paul sind auch Pauls Bruder Rick und dessen Frau Pam tragischer Bestandteil dieses Ensembleromans. Zwischen diesen vier Figuren springt die Geschichte hin und her, immer wieder findet ein Perspektivenwechsel statt und man folgt den Ereignissen aus einem anderen Blickwinkel, ist dann voll bei der Figur, erlebt ihre Gedanken und Gefühle. Besonders bei Pam wird es sehr intensiv, denn sie hadert sehr mit ihrem Leben als junge Mutter und Ehefrau, versucht immer wieder aus der Eintönigkeit auszubrechen, leider in einer Art und Weise, die den ein, oder anderen Leser schockieren wird.
Picard County erzählt gleich mehrer Familiengeschichten und zeigt eindringlich, wie Traumata und erlittene Verluste diese prägen und letztlich auch zerstören können. Die Story entwickelt sich eher ruhig, fast träge und zäh, als würde die brütende Hitze alles verlangsamen. Der Leser spürt aber direkt von Anfang an, dass man auf eine Katastrophe zusteuert. Sie kündigt sich mit jedem Wort an, sie ist unausweichlich, entsteht aber letztlich nur durch Missverständnisse, fehlendes Vertrauen und Vorurteile. Man fühlt sich fast wie ein Reh im Scheinwerferlicht eines Autos, spürt die Gefahr, ist aber paralysiert und kann nicht weglaufen. Trotz dieser zähen Entwicklung hat mich das Buch aber total gepackt, ich war gefesselt von den Figuren und konnte das Buch nicht aus der Hand legen. Als es dann vorbei war, ging es mir dann plötzlich viel zu schnell.
Das Buch enthält neben der Danksagung der Autorin noch ein Nachwort von Marcus Müntefering, der die Spielart des Romans erklärt, die Country oder Rural Noir genannt wird und sich mit Menschen am Rande der Gesellschaft beschäftigt. Es war sehr interessant diese Anmerkungen zu lesen.