Faszinierende Familiengeschichte
In dem Roman „Der Apfelbaum“ beschreibt Christian Berkel auf interessante Weise die Lebensgeschichten seiner Eltern und Großeltern. Um sich mit der fortschreitenden Demenz seiner Mutter auseinander zu ...
In dem Roman „Der Apfelbaum“ beschreibt Christian Berkel auf interessante Weise die Lebensgeschichten seiner Eltern und Großeltern. Um sich mit der fortschreitenden Demenz seiner Mutter auseinander zu setzen, führte er viele Gespräche mit ihr über die Familiengeschichte.
Daraus entstand ein Roman, der sich mäandernd durch einen langen Zeitraum bewegt, der von zwei Weltkriegen und den jeweiligen schweren Zeiten danach geprägt ist.
Die beiden Paare stammen aus völlig verschiedenen Kreisen. Die Frauen, jüdisch geboren, eint eine Eigenständigkeit, die bewundernswert ist und gleichzeitig überrascht für diese Zeiten. In gewisser Weise sind sie alle vier Freigeister, die versuchen sich von den Umständen und dem Geist der Zeit freizumachen, um sich ein Leben zu erkämpfen welches ihrer Vorstellung entspricht.
Es gibt viel Schweres in diesem Buch, das heraufziehende 3. Reich, die Kriegszeiten, die schwere Kindheit Berkels Vaters, die einem manchmal die Tränen in die Augen treibt. Doch trotz all der Schwere gibt es viele schöne Momente, Zeiten in denen man glücklich war, und auch immer wieder
die Versuche von allen Beteiligten sich wieder aufzurichten, um Würde und Lebensmut zu kämpfen. Was sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht, ist der von Mutter auf Tochter und Enkel weitergegebene Kampf um die Liebe der Mutter und das Gesehenwerden von ihr.
Man bekommt gute Einblicke in das Innenleben der Protagonisten, auch Berkels Verletzungen schimmern immer wieder durch.Der Seelenzustand von Kriegsheimkehrern wird eindringlich beschrieben. Das Abstumpfen des Gefühls, die Erkenntnis, dass man nicht dort weitermachen kann, wo man vor dem Krieg aufgehört hat und gleichzeitig die Sprachlosigkeit dem eigenen Umfeld gegenüber. Männer, die sich normalerweise nur schwer öffnen, verschließen sich wie Austern und trinken, spielen oder verprügeln ihre Familien weil sie nicht wissen, wie sie mit ihren inneren Dämonen umgehen sollen.
Das Buch ist vor allem als Hörbuch ein Erlebnis. Die angenehme Stimme Berkels zieht einen gleich tief in das Buch. Der Autor liest – nein, er erzählt und setzt auf diese Weise dass um was er sich beim Schreiben gedacht und gemeint hat. Die Stimme ist mal heller, höher, ernst oder streng, süffisant, fröhlich und auch hart. Durch den Tonfall und die Betonungen erscheinen die Personen zweidimensional und vermitteln einen lebendigen Eindruck ihrer Persönlichkeiten. Vor dem inneren Auge entstehen Bilder von Situationen und Orten, dem Matsch und Morast eines französischen Internierungslagers genauso wie dem Lager der russichen Kriegsgefangenschaft.
Es ist ein sehr berührendes Buch, in einem klaren Stil und einer schönen Sprache, und es läßt einen nicht mehr los. Ich hoffe, es bleibt nicht bei dem einzigen Buch!