Cover-Bild Glückskind mit Vater
12,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Suhrkamp
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 525
  • Ersterscheinung: 06.03.2017
  • ISBN: 9783518467602
Christoph Hein

Glückskind mit Vater

Roman

Ironisch-humoristisch, anrührend, ohne Sentimentalität oder Sarkasmus erzählt Christoph Hein ein beispiellos-beispielhaftes Leben in mehr als sechzig Jahren deutscher Zustände.
Was verdankt ein von der Mutter »Glückskind« genannter Sohn dem Vater? Seit seiner Geburt im Jahr 1945 versucht Konstantin Boggosch, in der entstehenden DDR lebend, aus dem Schatten seines kriegsverbrecherischen toten Vaters zu treten: Er nimmt einen anderen Namen an, will in Marseille Fremdenlegionär werden, reist kurz nach dem Mauerbau wieder in die DDR ein, darf dort kein Abitur machen, bringt es gleichwohl, glückliche Umstände ausnutzend – Glückskind eben –, in den späten DDR-Jahren bis zum Rektor einer Oberschule – fast.
Am Ende erkennt er: Eine Emanzipation von der allgemeinen und der persönlichen Geschichte ist zum Scheitern verurteilt. Durch solche Verkettung von Vergangenheit und Gegenwart wird aus dem Glückskind ein Unheilskind. Gerade dadurch verkörpert Boggosch wie in einem Brennspiegel die unterschiedlichsten Gegebenheiten Deutschlands in den politischen, gesellschaftlichen und privaten Bereichen.

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Veröffentlicht am 12.04.2018

Glückskind mit Vater

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„...Was uns alle überlebt, ist die Akte...“

Die Geschichte beginnt in der Gegenwart. Der pensionierte Schuldirektor Konstantin Boggosch lebt mit seiner Frau Marianne in einer Kleinstadt. Das dortige Gymnasium ...

„...Was uns alle überlebt, ist die Akte...“

Die Geschichte beginnt in der Gegenwart. Der pensionierte Schuldirektor Konstantin Boggosch lebt mit seiner Frau Marianne in einer Kleinstadt. Das dortige Gymnasium wird nach einem dreijährigen Umbau wieder eröffnet. Deshalb möchte eine junge Reporterin mit Boggosch ein Interview machen und ihn zusammen mit drei weiteren Direktoren der Schule fotografieren. Beides lehnt Boggosch ab.
Dann drückt ihn seine Frau einen Brief in die Hand. Er ist gerichtet an Konstantin Müller, geboren am 14. Mai 1945 in der Nähe von Magdeburg. Boggosch spricht von einem Irrtum.
Danach wechselt die Geschichte ins Jahr 1945.
Der Autor hat einen sehr realistischen und gut recherchierten Roman geschrieben. Anhand eines persönlichen Schicksals zeichnet er nicht nur 60 Jahre deutscher Geschichte, er zeigt ebenfalls grundlegende Unterschiede in beiden deutschen Staaten im Umgang mit der Vergangenheit.
Konstantin hat seinen Vater nie kennengelernt. Er war ein hoher SS-Offizier und wurde kurz vor Kriegsende in Polen hingerichtet. Hinter seiner Fabrik, den Vulcano-Werken, hatte er schon mit dem Bau eines Konzentrationslagers begonnen.
Seine Frau wusste davon wenig. Doch sie zog die Konsequenzen. Sie nahm ihren Mädchennamen an und sorgte dafür, dass auch Konstantin und sein älterer Bruder den neuen Familiennamen erhielten. Außerdem unterschrieb sie eine Verzichtserklärung über das Vermögen ihres Mannes.
Der Schriftstil des Buches ist ausgereift und tiefgründig.
Gut wird dargestellt, wie seine Herkunft immer wieder Folgen auf Konstantins Lebensweg hat. Konstantins Onkel Richard hatte sich vor dem Kriegsende nach Bayern abgesetzt. Über seine Schwester gelingt es ihn, Kontakt zu Konstantins älteren Bruder aufzunehmen und ihn zu überzeugen, dass die Nachrichten über seinen Vater nur üble Nachrede sind. Ein bayrisches Gericht stellt die Verurteilung des Vaters als Unrecht dar.
Da Konstantin wegen seiner Herkunft das Abitur verweigert wird, verlässt er mit 14 Jahren die DDR und gelangt nach Frankreich. Auf Grund seiner Sprachkenntnisse, die er seiner Mutter zu verdanken hat, findet er Menschen, die ihn Arbeit und sogar Zuneigung geben. Sie hatten im Krieg im französische Widerstand gearbeitet und waren verraten und im KZ inhaftiert wurden. Es trifft Konstantin hart, als er in einer Broschüre der Franzosen seinen Vater zu erkennen glaubt. Wieder hat ihn die Vergangenheit eingeholt. Er schämt sich seines Vaters. Gerade die Zeit in Frankreich wird aber für ihn prägend. Das folgende Zitat bringt ihn zum Nachdenken:

„...Diese Duponds, sagte er zu mir, das sind die wahren Helden. Sie schaffen es immer, auf die Füße zu fallen. Sie sind die Hefe der Gesellschaft, sie sind es, die dafür sorgen, dass einfach alles weitergeht, wer oder was auch immer gerade an der Macht ist...“

Gemeint sind diejenigen, die sich keiner Schuld bewusst, dafür aber sehr anpassungsfähig sind. Sie haben ja nur befehle ausgeführt.
Wenige Tage vor dem Mauerbau kehrt Konstantin in die DDR zurück. E findet Menschen, die ihm eine Chance und eine Zukunft geben. Sehr realistisch werden seine Erfahrungen im Schulwesen wiedergegeben. Der Beruf gibt nicht nur seinem Leben Ziel und Sinn, sondern auch Halt in Zeiten von Trauer und Verlust. Immer wieder aber bewahrheitet sich das Eingangszitat.
In jeder Zeile ist spürbar, das der Autor die Wende bewusst erlebt hat. Unterschiedliche Stimmungen und Ansichten werden gegenüber gestellt. Perfekt werden Stimmung und Widersprüche eingefangen.
Der Autor lässt seinen Protagonisten die ganze Fülle der menschlichen Emotionen durchleben. Neben heiteren Passagen gibt es sehr ernste Stellen. Sein Beruf ist für ihn Berufung, die ihm hilft, manche Klippe zu umschiffen. Aussagekräftige Dialoge spiegeln die gesellschaftlichen Verhältnisse wider.
Die unterschiedliche Entwicklung der beiden Brüder gibt der Geschichte eine besondere Facette, die besonders in den letzten Seiten betroffen macht.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es hat mich tief beeindruckt.