Ein Mädchen, das des eigenen Lebens beraubt wird
Während ihre Mutter auf Konzertreise in Deutschland ist, verbringt die achtjährige Peggy einige Wochen allein mit ihrem Vater zuhause. Dieser, schon seit einer ganzen Weile vom Gedanken an ein Leben als ...
Während ihre Mutter auf Konzertreise in Deutschland ist, verbringt die achtjährige Peggy einige Wochen allein mit ihrem Vater zuhause. Dieser, schon seit einer ganzen Weile vom Gedanken an ein Leben als Aussteiger begeistert, erhält über einen Bekannten die Gelegenhet, eine kleine abgelegene Waldhütte in den Bergen zu übernehmen. Also macht er sich gemeinsam mit seiner Tochter auf den Weg dorthin. Kaum angekommen erzählt er dem Mädchen, die restliche Welt sei untergegangen, alle Menschen tot, sie beide die einzigen, die überlebt haben. Auf keinen Fall dürfe sie den Fluss überqueren oder die Berggipfel überschreiten, denn dahinter lauere nur noch die Große Kluft, ein unendliches Nichts. Und so beginnen endlose Jahre im Wald, in denen Peggy im Kampf ums Überleben erwachsen wird und doch zugleich das kleine Mädchen bleibt, das sie war, als die Welt unterging.
Die Handlung ist zweigeteilt. Ein Strang handelt vom Leben in der Abgeschiedenheit der kleinen Waldlichtung, der andere spielt Jahre später, als Peggy wieder zurück in die Zivilisation gelangt und erkennen muss, dass ihr Vater sie all die Jahre belogen hat.
Peggy ist eine sympathische Protagonistin. In den Rückblicken auf die Zeit "Davor", als sie noch ein ganz normales Leben mit ihren Eltern und Freunden irgendwo in London führte, war sie ein aufgewecktes und wissbegieriges kleines Mädchen. Stets hat sie sich bemüht, ihrem Vater eine Freude zu machen, und so wehrt sie sich auch nicht gegen dessen Beschluss, die tagelange Reise mit langem Fußmarsch zur abgelegenen Waldhütte anzutreten, obwohl sie eigentlich viel lieber zuhause bleiben würde. Als sich irgendwann abzeichnet, dass aus dem Abenteuerurlaub ein "für immer" werden soll, akzeptiert sie auch dies recht schnell. Und dennoch ist sie nicht glücklich über dieses neue Leben in der Einsamkeit. Wie auch, sie ist gerade einmal acht Jahre alt, als sie aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen wird, als sie plötzlich ihren gesamten Alltag umkrempeln muss.
Es ist eine seltsame Beziehung zwischen Vater und Tochter, einerseits geprägt von der Entscheidung des Vaters, Peggy gegen ihren Willen dazu zu zwingen, an seinem Traum teilzuhaben - und sie so ihres eigenen Lebens beraubt -, und andererseits von seiner großen Liebe zu ihr, die er unter Beweis stellt, als er ihr mühevoll aus Holz ein Klavier baut. Mit den Jahren zeichnet sich zusehends eine leichte Spur des Wahnsinns ab, der den Vater immer wieder überkommt und unter dem Peggy in all der Zeit sehr leidet.
Und doch gibt der Handlungsstrang aus dem Jahr 1985 Hoffnung, denn es ist klar: sie wird aus diesem Leben entkommen, zu dem ihr Vater sie verpflichtet hat, sie wird zurückkehren, auch, wenn sie ihre Vergangenheit nie ganz wird abstreifen können.
Der Roman ist spannend erzählt. Er ist nicht auf Action aus, hat aber einen dystopischen Hauch, und dank des eingehenden Schreibstils kann man nicht anders, als mit dem kleinen Mädchen mitzufiebern und stets darauf zu hoffen, dass für sie alles gut ausgehen wird. Die Atmosphäre schwankt auf einer Skala von beklemmend bis unbeschwert, dazwischen ist alles vertreten; doch zu jedem Zeitpunkt wirkten die Figuren und Szenen authentisch, die Beschreibungen eingängig und ergreifend.
Ich habe "Unsere unendlichen Tage" sehr gerne gelesen und empfehle es daher gerne weiter!