Gutes Buch zu wichtigem Thema
Strong Female CharacterAutismus wird gerade bei Frauen immer noch viel zu häufig nicht erkannt. Das liegt nicht nur daran, dass generell wenige Psychologinnen auf das Thema spezialisiert sind, sondern vor allem auch daran, dass ...
Autismus wird gerade bei Frauen immer noch viel zu häufig nicht erkannt. Das liegt nicht nur daran, dass generell wenige Psychologinnen auf das Thema spezialisiert sind, sondern vor allem auch daran, dass die Diagnosekriterien noch immer stark auf männlichen Autismus zugeschnitten sind. Inselbegabung, Beziehungsunfähigkeit, keinen Blickkontakt halten und keinen Smalltalk führen können, sich für Informatik, Technik und Züge begeistern - zack, fertig ist der stereotypische Autist. Dass es so einfach nicht sein kann, dürfte uns allen spätestens nach einer Sekunde des Nachdenkens klar werden.
Fern Brady erzählt in ihrem Erfahrungsbericht davon, wie es ihr vor und während der recht späten Diagnose ergangen ist. Wie wenig ernst ihre Vermutung genommen wurde ('Du hattest doch schon Beziehungen, wie kannst du da autistisch sein?'), wie befreiend die Diagnose war, und wie steinig der Weg ist, der noch vor ihr liegt. Sie berichtet dabei sehr offen und schonungslos auch von privatesten Erlebnissen, Beziehungskonflikten und psychischen Zusammenbrüchen. Von dysfunktionalen Familienverhältnissen und Gewalterfahrungen und vor allem auch von dem Gefühl, irgendwie anders zu sein, irgendwie nicht klarzukommen in dieser Welt, die so wenig auf Menschen im Autismusspektrum achtgibt. Wie schwierig es ist, als weiblich sozialisierte Person diagnostiziert zu werden und mit welchen Stereotypen und Vorurteilen man anschließend Tag für Tag konfrontiert wird.
Und auch hier wieder: Bradys Buch ist ein persönlicher Einblick, nichts von dem, was sie berichtet, muss automatisch auch auf andere Autistinnen zutreffen. Nichts mit 'Kennst du eine*n, kennst du alle'. In einigen Punkten habe ich mich, die ich selbst Autistin bin, wiederentdeckt, in vielen so überhaupt nicht. Trotzdem tut es unglaublich gut, Bücher wie dieses zu lesen. Zu sehen, da sind andere Menschen, die auch ihre Probleme haben. Die auch schauen müssen, wie sie klarkommen, und zwar jeden einzelnen Tag. Bücher wie dieses hier sind wichtig, nicht nur für Betroffene, sondern auch als Beitrag zur Aufklärung über ein Thema, das nach seiner Ansprache meistens nach 2 Sätzen in peinlichem Schweigen endet.
Es gibt viele Bücher, die sich differenzierter mit dem Thema auseinandersetzen, die einen umfassenderen Überblick bieten und als Einführung sicherlich geeigneter sind als dieses. Aber es ist immer auch wichtig, Betroffene selbst zu Wort kommen zu lassen und sich nicht nur einen Katalog an Merkmalen zusammenzusuchen, so vielfältig der auch sein mag. In diesem Sinne gibt "Strong Female Character" einen schönen, wirklich ehrlichen Einblick und ergänzt meine private "Autismusbibliothek" auf jeden Fall gut. Danke dafür.