Cover-Bild Der Minuteman-Algorithmus
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18,50
inkl. MwSt
  • Verlag: epubli
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: allgemein und literarisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Erzählende Literatur
  • Seitenzahl: 372
  • Ersterscheinung: 10.05.2021
  • ISBN: 9783754118603
Derya Yalimcan

Der Minuteman-Algorithmus

Was wäre, wenn es einen nur Eingeweihten bekannten Code gäbe, einen verborgenen Algorithmus, der die Parameter von Börsenderivaten und die Volatilität von Devisenkursen definierte? Welchen Wert hätten dann Reichtum und die Zivilisation, in der wir leben, und wie viel wäre unser Gesellschaftssystem und der gesellschaftliche Konsens wert? Was wäre, wenn ein Algorithmus Zufälligkeiten des Alltags kryptographisch definierte? Was wären in so einer Welt die Bezeichnungen für das Glück und das Schicksal, für Erfolg und Misserfolg? Was, wenn dieser Code nicht göttlichen Ursprungs wäre, sondern menschengemacht?
Wenn Himmel und Hölle irdisch wären, und Aufstieg und Fall der Nationen nur ein Spiel im Sandkasten, den der Hegemon für die Spieler kreierte? Welche Aufgabe hätte ein Messias in solch einer Welt? Und wäre jener, der das Spiel zu Ende brächte,
der Messias oder seine Antithese? Dies ist die Geschichte einiger weniger Spieler.

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Lesejury-Facts

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  • Vagant hat dieses Buch gelesen.

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.05.2021

Mir gefiel diese Art Rahmenerzählung für die ich den Begriff „polyphoner Roman“ ganz brauchbar finde.

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Der Minuteman-Algorithmus: Das Lesen selbst ging gut, leichte fassliche Sprache, eine im guten Sinne seichte Schreibweise, eine Stilmischung aus dezentem Archaismus mit einigen fremdwortlichen Knalleffekten. ...

Der Minuteman-Algorithmus: Das Lesen selbst ging gut, leichte fassliche Sprache, eine im guten Sinne seichte Schreibweise, eine Stilmischung aus dezentem Archaismus mit einigen fremdwortlichen Knalleffekten. Ging runter wie Öl, könnte man sagen. Wenn es geeckt hat, dann wenn inhaltlich etwas dick aufgetragen wurde, wenn der Autor einem verbal den Okkultismus um die Ohren haut. Aber irgendwie ging es doch nie soweit, dass es weh tat. Dieser Stil hat dem Erzählfluss merkbar gutgetan.

Die Erzählung und ihr Aufbau ist durchaus gelungen. Mir gefiel diese Art Rahmenerzählung für die ich den Begriff „polyphoner Roman“ ganz brauchbar finde. Ja, das ist gut gelungen:

1. Rahmen: „Prolog“ – „Epilog“
2. Rahmen: Inhalt des Manuskripts
3. Rahmen: Das Gruftspektakel

Und die ganze Handlung in der Mitte.

Mit Kimberly Morrigain hat der Autor die Person gefunden, die sein Autor-Ich als souverän kennzeichnet. Die Autorenstimme relativiert sich ja im Erzählverlauf beständig, aber mit „Prolog“ und „Epilog“ wird klar, dass hier nicht das Okkulte gefeiert wird, sondern relativiert.
Besonders reizvoll fand ich das Ende, den Schlusssatz – ein Knaller! Verblüfft atmet der Leser durch: Ja wer hat denn nun den Roman geschrieben? Echt gut.

Dr. Lomer ist natürlich genial böse beschrieben. Diese Figur ist eine der besten, die der Fantasie des Autors entsprungen ist. Bösewichte haben eben einen ganz speziellen Sympathiebonus.

In der Autofahrt mit dem Jaguar schafft die Story regelrecht die Kurve. Urplötzlich taucht das fette Trampel Eugenie als klassische Schönheit auf, scheinbar fest im Okkultismus hängend. Aber wie sich allmählich eine subtile Liebesgeschichte zwischen den beiden okkulten Jüngern entwickelt, hat mir sehr gut gefallen. Stilistisch ist das Bemühen um eine Integration der wirren Gedankenwelt der Sektenmitglieder in den Rhythmus eines leichten Plaudertons zu bemerken. Aber ich muss sagen, auf angenehme Weise. Mit einem Male wirken auch scheinbare Zombies irgendwie sympathisch. Außerdem ist dieses Kapitel als Quelle von Erklärungen wichtig. Man erfährt vom Algorithmer (nur in Andeutungen – genialer Kniff – alles weiterhin in der Schwebe) und auch, was es mit dem Minuteman auf sich hat. Denn ich glaube, nicht jeder wird von Anfang an wissen, was damit gemeint ist. Und auch eine Fülle nachgeschobener Erklärungen, die die Erkenntnis des Lesers fördern. Auch der Epilog ist in dieser Hinsicht sehr wichtig. Vieles, was noch dunkel geblieben war, hellt sich dort endgültig auf.

Überhaupt, die beschriebenen Charaktere und einzelnen Gestalten, die oftmals von einer Ebene auf die andere springen, haben etwas faszinierendes. Dr. Anschütz bei Dr. Lomer und im Berliner Krankenhaus. Wie ist da der Zusammenhang? Sehr gut, dass der Autor das der Fantasie des Lesers überlässt, das macht die Story noch vertrackter, noch verstörender. Oder die Voodoohexe, die plötzlich in Kimberlys Realität platzt. Und natürlich der große grauhaarige Unbekannte, der Rachmaninow spielende Algorithmer! (Genial die Stelle: Der Algorithmer ist der Algorithmus selbst) Überhaupt, dieses teilweise in der Schwebe lassen der Handlungszusammenhänge! Wirklich gut, dass nicht alles platt ausgeplaudert wird, sondern im Nebel hängen bleibt – in den Umrissen erkennbar aber nicht voll fassbar!

Die Berlin-Kapitel fand ich die lesenswertesten Texte im Mittelteil. Wirklich faszinierend die beschriebene Nachrichtenübermittlung und die anschließende Schnitzeljagd. Wie die beiden jungen Leute zusammenkommen, eigentlich voneinander angezogen sind aber letztendlich nicht zueinander finden – ganz subtil gezeichnet, richtig gut.
Auch wie sich ganz allmählich das Bild des merkwürdigen Alten formt, vom scheinbar sympathischen alten Sack zum von Anfang an fiesen Verschwörertypen.
Beo Rosso – den Namen habe ich mir mal genauer angeguckt, weil er mir irgendwie aufgeladen schien. Da habe ich die Buchstaben ein wenig vertauscht und bis auf Soros gestoßen. Sehr gut getroffen diese Figurenzeichnung. Genau wie in der Wirklichkeit haben wir zwar jemanden, der groß auf die Kacke haut aber mitnichten ganz oben in der Hierarchie platziert ist.

Die Mainstory in der Story ist ja die Eroberung der Welt und die Versklavung der Menschheit durch eine wie immer geartete Elite. Die Etappen, auf der sich diese Eroberung vollzieht, angefangen mit der Rekrutierung der Kinder, mit den Sprüngen durch die Jahrzehnte mit all den fatalen Entwicklungen ab den entarteten Neunzigern, mit der ganzen Brutalität, die auf ihrem Wege die Opfer (Randolph, Liza usw.) reihenweise ausstößt, und der Fortschreibung bis in die Zukunft, wenn die Menschheit resettet wird, ist nachvollziehbar geschildert. Natürlich in verknappter Form und nur in Andeutungen. Es erfüllt den Zweck die Handlungsstränge fortzuführen. Nur erzählerisch und stilistisch merkt man bei einigen Teilen , dass die Erzählung einen leichten Durchhänger hat. Die Figurenzeichnung ist fragmentarisch, Sympathien werden kaum aufgebaut. Am besten ist noch die Episode, in der die Kinder den Dämon anrufen. Ich mag die Stilistik, diese dezente Anleihe am Schauerroman. Überhaupt, der Rückgriff auf die Kinder ist eine brillante Idee des Autors. Ja, erst habe ich das mit dem Mephisto im Prolog übersehen, aber der Rückgriff auf ewig gültige literarische Archetypen wertet den Roman auf.

Erst war es unklar, was der Mann mit der Wollmütze soll, der immer wieder auftaucht. Aber die Idee ist gut. So zieht sich vom Hausmeister bis zum Heiligen Elias ein roter Faden durch die Geschichte. Überhaupt dass sich alles so sehr in eine Art christliche Heilserwartung wendet, kam mir ziemlich überraschend. So richtig ernst kann man das nicht nehmen aber es ist gut, den ollen Jesus angesichts der bevorstehenden Menschheitskatastrophe so irgendwie sympathisch menschlich geschildert durch die Story schweben zu sehen. Auch dass er eigentlich nicht viel richten kann, tut der Erzählung gut. Denn es hätte merkwürdig angemutet, wäre das Heil unmotiviert ausgebrochen.

Gratulation an den Autor für den Begriff „Digiparia“! Das trifft als markanter Ausdruck für diese Sorte Menschen wirklich gut. Die Gegenüberstellung von Digitalversklavten und Digitalverweigerern sowie das (wahrscheinlich) realistische Verhältnis zwischen den beiden Gruppen (Massen von Zombies vs. Handvoll Aufrechter) ist genial erzählter Dualismus! Alles läuft auf den Endkampf zu. Dass ausgerechnet eine naive Besserwisserin wie Shannon alles exemplarisch erleiden muss, ist ebenfalls eine tolle Idee des Autors. Wie sie sich plötzlich so erhaben fühlt und glaubt, die Erkenntnis mit Löffeln gefressen zu haben, weil sie dem widerlichen Alten auf den Leim gekrochen ist, wie sie bereit ist, Verrat zu üben, nur um den neuen Maßstäben zu genügen und wie sie zur Strafe durch die Hölle der Erkenntnis gejagt wird nur um am Ende trotzdem versklavt zu werden – genial. Sie ist innerlich tot, obwohl ihre Seele für einen kurzen Augenblick entfleuchen konnte und diese Shannonhülle steht dem wahren Leben, das von Bojana symbolisiert wird, gegenüber. Ich muss anerkennen, dass der Autor die subtile dualistische Zuspitzung wirklich beherrscht.
Die Digiparia-Einsprengsel sind von unterschiedlicher Qualität. Besonders anrührend ist das McCormick-Kapitel gelungen. Top Idee – und stilistisch gut umgesetzt. Sympathisch.

Eigentlich könnte ich noch weiterhin fragmentarisch aufzählen, was mir noch so aufgefallen ist. Aber ich ende jetzt lieber mal. Ich fürchte, ich langweile schon. Aber es sei versichert, dass ich den Minuteman-Algorithmus mit großem Vergnügen gelesen habe. Dieses Buch hinterließ mich mit so einem angenehm indifferenten Gefühl. Das ist, glaube ich, das, was ich von einem modernen Roman erwarten darf. Das kennzeichnet ihn als ein literarisches Werk unserer aus den Fugen geratenen Zeit.

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