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Veröffentlicht am 19.10.2022

Gelungene Persiflage auf unsere erkrankte Gesellschaft

Der Lektor
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Habe die Schrift gelesen und drüber nachgedacht. Was soll ich dazu sagen? Betrifft uns das vom Autor entgegengehaltene Zerrbild eigentlich? Natürlich, denn es ist unsere Gesellschaft, die krankt. Und die, ...

Habe die Schrift gelesen und drüber nachgedacht. Was soll ich dazu sagen? Betrifft uns das vom Autor entgegengehaltene Zerrbild eigentlich? Natürlich, denn es ist unsere Gesellschaft, die krankt. Und die, die inmitten unserer Gesellschaft leben aber sich eigentlich nicht dazugehörig fühlen, die fühlen sich umso mehr von diesem Werk angesprochen. Lachen sie über uns oder bemitleiden sie uns?
Eine Bekannte übersetzte mir die Einleitung zur türkischen Ausgabe. So gut es ging, habe ich mir die Übersetzung notiert und grüße an dieser Stelle Emrah Bekci, den türkischen Lektor des "Lektors".


Jedes menschliche Wesen, das auf dem Planeten, den wir Erde nennen, geboren wird, ist ein Geschöpf mit Verstand, das sein ganzes Leben lang versucht, seine Fähigkeiten durch Bildung und Ausbildung zu entwickeln, und das, ungeachtet der Qualität seiner Entwicklung, den Titel "Mensch" trägt.
Der Mensch, der sich bemüht, ein vollkommener Mensch zu werden, wird seinen Geist mit der Gesellschaft, in der er lebt, in Kontakt bringen, ihn mit dem intellektuellen Niveau und der Qualität der intellektuellen Struktur der Gesellschaft, in der er aufgewachsen ist, vermischen um eine Stufe zu erreichen, die es ihm ermöglicht, neue Ideen zur Entwicklung von Nation und Kultur beizutragen.

Das höchste Ziel einer solchen Ideenproduktion ist es, die Gesellschaft kulturell aufzuwerten und damit die höchste Stufe des Menschseins zu erklimmen und anderen Kulturen und Zivilisationen ein Vorbild zu sein.

Generationen von herausragenden Intellektuellen haben im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche "-ismen" und Doktrinen niedergeschrieben, die sowohl dem Okkultismus als auch der Verwaltung ihrer Ländern zugute kamen. Diese gelehrten Persönlichkeiten haben mit ihren Ideen und der von ihnen entwickelten Sozialanthropologie dem Frieden und dem Wohlergehen der Menschen gedient, auch wenn ihre Ideen oftmals missbraucht worden sind und Kriege verursacht haben.

Innerhalb des theologischen Weltsystems hat sich der Mensch zunächst zu einem Arbeiter im klerikalen Klassensystem entwickelt, der im theologischen Bereich das Kapitalfeld bildete, und dann zum Sklaven degradiert wurde, der sich für den Fortbestand des Kapitals reproduzieren musste und mit Gehältern abgespeist wurde.

Und der moderne Mensch ist Gefangener eines Systems von "Meistern und Sklaven". In diesem Sinne sollte der Mensch von heute nicht als eine Person betrachtet werden, die mit ihrem Verstand und ihrer Wahrnehmung Urteile fällt. Im Gegenteil, der moderne Mensch ist ein von den Kommunikationsmitteln des modernen Zeitalters entmündigtes Geschöpf, das sich in einem Kampf um das langfristige Überleben seiner Herren befindet. Ein solches Wesen erwacht an dem Tag, an dem es geboren wurde, um die ihn beherrschenden Machthaber bis zum Tage seines Entschlafens mit materiellen Mitteln am parasitären Leben zu erhalten.

Von Ibn Khaldun, dem berühmte Denker und Autor der Muqaddimah, ist eine Sentenz zu diesem Thema überliefert: "Der Mensch ist das Kind seiner Gewohnheiten!"

Unter diesem Gesichtspunkt entfaltet das vorliegende Werk mit dem Titel "Der Lektor“ das hohe intellektuelle Niveaus des Autors Dr. Harald Neugebauer zu diesem Urthema des Menschseins.

In dieser lesenswerten Schrift werden in Dialogen von Intellektuellen und Machthabern Passagen der Menschenrechtsgesetze der westlichen Zivilisation persifliert, die ein scheinbares Recht der türkischen Nation auf vollständige Integration in die europäische Gesellschaft postulieren, ein Recht, das allerdings von diesem dem Europäer wesensfremd gebliebenen Volk aufgrund seiner zivilisatorischen Inkompatibilität weder kulturell noch rechtlich jemals erlangt werden kann und von der überwältigenden Mehrheit dieser Nation auch nicht erlangt werden will, die sich im tiefsten Inneren als Eroberervolk definiert und nicht als Anpassler an fremde Lebensart.

Das Werk ist ein Quellenbuch für den Leser mit hohem intellektuellem Bewusstsein und zeigt uns, wie sich die heutige europäische Gesellschaft entwickelt hat.

Ich möchte meinen lieben Freund Dr. Harald Neugebauer, den Autor dieses Buches, durch den Leser grüßen. Ich übermittle allen Lesern meine Grüße.

Veröffentlicht am 27.05.2021

Mir gefiel diese Art Rahmenerzählung für die ich den Begriff „polyphoner Roman“ ganz brauchbar finde.

Der Minuteman-Algorithmus
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Der Minuteman-Algorithmus: Das Lesen selbst ging gut, leichte fassliche Sprache, eine im guten Sinne seichte Schreibweise, eine Stilmischung aus dezentem Archaismus mit einigen fremdwortlichen Knalleffekten. ...

Der Minuteman-Algorithmus: Das Lesen selbst ging gut, leichte fassliche Sprache, eine im guten Sinne seichte Schreibweise, eine Stilmischung aus dezentem Archaismus mit einigen fremdwortlichen Knalleffekten. Ging runter wie Öl, könnte man sagen. Wenn es geeckt hat, dann wenn inhaltlich etwas dick aufgetragen wurde, wenn der Autor einem verbal den Okkultismus um die Ohren haut. Aber irgendwie ging es doch nie soweit, dass es weh tat. Dieser Stil hat dem Erzählfluss merkbar gutgetan.

Die Erzählung und ihr Aufbau ist durchaus gelungen. Mir gefiel diese Art Rahmenerzählung für die ich den Begriff „polyphoner Roman“ ganz brauchbar finde. Ja, das ist gut gelungen:

1. Rahmen: „Prolog“ – „Epilog“
2. Rahmen: Inhalt des Manuskripts
3. Rahmen: Das Gruftspektakel

Und die ganze Handlung in der Mitte.

Mit Kimberly Morrigain hat der Autor die Person gefunden, die sein Autor-Ich als souverän kennzeichnet. Die Autorenstimme relativiert sich ja im Erzählverlauf beständig, aber mit „Prolog“ und „Epilog“ wird klar, dass hier nicht das Okkulte gefeiert wird, sondern relativiert.
Besonders reizvoll fand ich das Ende, den Schlusssatz – ein Knaller! Verblüfft atmet der Leser durch: Ja wer hat denn nun den Roman geschrieben? Echt gut.

Dr. Lomer ist natürlich genial böse beschrieben. Diese Figur ist eine der besten, die der Fantasie des Autors entsprungen ist. Bösewichte haben eben einen ganz speziellen Sympathiebonus.

In der Autofahrt mit dem Jaguar schafft die Story regelrecht die Kurve. Urplötzlich taucht das fette Trampel Eugenie als klassische Schönheit auf, scheinbar fest im Okkultismus hängend. Aber wie sich allmählich eine subtile Liebesgeschichte zwischen den beiden okkulten Jüngern entwickelt, hat mir sehr gut gefallen. Stilistisch ist das Bemühen um eine Integration der wirren Gedankenwelt der Sektenmitglieder in den Rhythmus eines leichten Plaudertons zu bemerken. Aber ich muss sagen, auf angenehme Weise. Mit einem Male wirken auch scheinbare Zombies irgendwie sympathisch. Außerdem ist dieses Kapitel als Quelle von Erklärungen wichtig. Man erfährt vom Algorithmer (nur in Andeutungen – genialer Kniff – alles weiterhin in der Schwebe) und auch, was es mit dem Minuteman auf sich hat. Denn ich glaube, nicht jeder wird von Anfang an wissen, was damit gemeint ist. Und auch eine Fülle nachgeschobener Erklärungen, die die Erkenntnis des Lesers fördern. Auch der Epilog ist in dieser Hinsicht sehr wichtig. Vieles, was noch dunkel geblieben war, hellt sich dort endgültig auf.

Überhaupt, die beschriebenen Charaktere und einzelnen Gestalten, die oftmals von einer Ebene auf die andere springen, haben etwas faszinierendes. Dr. Anschütz bei Dr. Lomer und im Berliner Krankenhaus. Wie ist da der Zusammenhang? Sehr gut, dass der Autor das der Fantasie des Lesers überlässt, das macht die Story noch vertrackter, noch verstörender. Oder die Voodoohexe, die plötzlich in Kimberlys Realität platzt. Und natürlich der große grauhaarige Unbekannte, der Rachmaninow spielende Algorithmer! (Genial die Stelle: Der Algorithmer ist der Algorithmus selbst) Überhaupt, dieses teilweise in der Schwebe lassen der Handlungszusammenhänge! Wirklich gut, dass nicht alles platt ausgeplaudert wird, sondern im Nebel hängen bleibt – in den Umrissen erkennbar aber nicht voll fassbar!

Die Berlin-Kapitel fand ich die lesenswertesten Texte im Mittelteil. Wirklich faszinierend die beschriebene Nachrichtenübermittlung und die anschließende Schnitzeljagd. Wie die beiden jungen Leute zusammenkommen, eigentlich voneinander angezogen sind aber letztendlich nicht zueinander finden – ganz subtil gezeichnet, richtig gut.
Auch wie sich ganz allmählich das Bild des merkwürdigen Alten formt, vom scheinbar sympathischen alten Sack zum von Anfang an fiesen Verschwörertypen.
Beo Rosso – den Namen habe ich mir mal genauer angeguckt, weil er mir irgendwie aufgeladen schien. Da habe ich die Buchstaben ein wenig vertauscht und bis auf Soros gestoßen. Sehr gut getroffen diese Figurenzeichnung. Genau wie in der Wirklichkeit haben wir zwar jemanden, der groß auf die Kacke haut aber mitnichten ganz oben in der Hierarchie platziert ist.

Die Mainstory in der Story ist ja die Eroberung der Welt und die Versklavung der Menschheit durch eine wie immer geartete Elite. Die Etappen, auf der sich diese Eroberung vollzieht, angefangen mit der Rekrutierung der Kinder, mit den Sprüngen durch die Jahrzehnte mit all den fatalen Entwicklungen ab den entarteten Neunzigern, mit der ganzen Brutalität, die auf ihrem Wege die Opfer (Randolph, Liza usw.) reihenweise ausstößt, und der Fortschreibung bis in die Zukunft, wenn die Menschheit resettet wird, ist nachvollziehbar geschildert. Natürlich in verknappter Form und nur in Andeutungen. Es erfüllt den Zweck die Handlungsstränge fortzuführen. Nur erzählerisch und stilistisch merkt man bei einigen Teilen , dass die Erzählung einen leichten Durchhänger hat. Die Figurenzeichnung ist fragmentarisch, Sympathien werden kaum aufgebaut. Am besten ist noch die Episode, in der die Kinder den Dämon anrufen. Ich mag die Stilistik, diese dezente Anleihe am Schauerroman. Überhaupt, der Rückgriff auf die Kinder ist eine brillante Idee des Autors. Ja, erst habe ich das mit dem Mephisto im Prolog übersehen, aber der Rückgriff auf ewig gültige literarische Archetypen wertet den Roman auf.

Erst war es unklar, was der Mann mit der Wollmütze soll, der immer wieder auftaucht. Aber die Idee ist gut. So zieht sich vom Hausmeister bis zum Heiligen Elias ein roter Faden durch die Geschichte. Überhaupt dass sich alles so sehr in eine Art christliche Heilserwartung wendet, kam mir ziemlich überraschend. So richtig ernst kann man das nicht nehmen aber es ist gut, den ollen Jesus angesichts der bevorstehenden Menschheitskatastrophe so irgendwie sympathisch menschlich geschildert durch die Story schweben zu sehen. Auch dass er eigentlich nicht viel richten kann, tut der Erzählung gut. Denn es hätte merkwürdig angemutet, wäre das Heil unmotiviert ausgebrochen.

Gratulation an den Autor für den Begriff „Digiparia“! Das trifft als markanter Ausdruck für diese Sorte Menschen wirklich gut. Die Gegenüberstellung von Digitalversklavten und Digitalverweigerern sowie das (wahrscheinlich) realistische Verhältnis zwischen den beiden Gruppen (Massen von Zombies vs. Handvoll Aufrechter) ist genial erzählter Dualismus! Alles läuft auf den Endkampf zu. Dass ausgerechnet eine naive Besserwisserin wie Shannon alles exemplarisch erleiden muss, ist ebenfalls eine tolle Idee des Autors. Wie sie sich plötzlich so erhaben fühlt und glaubt, die Erkenntnis mit Löffeln gefressen zu haben, weil sie dem widerlichen Alten auf den Leim gekrochen ist, wie sie bereit ist, Verrat zu üben, nur um den neuen Maßstäben zu genügen und wie sie zur Strafe durch die Hölle der Erkenntnis gejagt wird nur um am Ende trotzdem versklavt zu werden – genial. Sie ist innerlich tot, obwohl ihre Seele für einen kurzen Augenblick entfleuchen konnte und diese Shannonhülle steht dem wahren Leben, das von Bojana symbolisiert wird, gegenüber. Ich muss anerkennen, dass der Autor die subtile dualistische Zuspitzung wirklich beherrscht.
Die Digiparia-Einsprengsel sind von unterschiedlicher Qualität. Besonders anrührend ist das McCormick-Kapitel gelungen. Top Idee – und stilistisch gut umgesetzt. Sympathisch.

Eigentlich könnte ich noch weiterhin fragmentarisch aufzählen, was mir noch so aufgefallen ist. Aber ich ende jetzt lieber mal. Ich fürchte, ich langweile schon. Aber es sei versichert, dass ich den Minuteman-Algorithmus mit großem Vergnügen gelesen habe. Dieses Buch hinterließ mich mit so einem angenehm indifferenten Gefühl. Das ist, glaube ich, das, was ich von einem modernen Roman erwarten darf. Das kennzeichnet ihn als ein literarisches Werk unserer aus den Fugen geratenen Zeit.

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