Realität mit Fiktion geschickt verknüpft
Vor acht Jahren hat Eugen Ruge den fiktiven Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ veröffentlicht, in dem er einen Teil der Geschichte seiner Familie verarbeitet hat. Mit dem Buch „Metropol“ hat er erneut ...
Vor acht Jahren hat Eugen Ruge den fiktiven Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ veröffentlicht, in dem er einen Teil der Geschichte seiner Familie verarbeitet hat. Mit dem Buch „Metropol“ hat er erneut einen Roman mit autobiografischem Hintergrund geschrieben, der mich als Leserin mit in das Jahr 1936 nach Moskau nahm.
Im Mittelpunkt steht die Großmutter des Autors, in der Geschichte mit ihrem gewählten Decknamen Lotte Germaine zu finden. Lotte und ihr Ehemann Wilhelm aus Deutschland sind überzeugte Kommunisten und in die Sowjetunion eingewandert. Dort arbeiten sie für den Nachrichtendienst der 3. Kommunistischen Internationale, kurz „Komintern“. Lotte ist stolz auf ihre Fremdsprachenkenntnisse und der Möglichkeit als Frau mit zwei inzwischen erwachsenen Kindern berufstätig zu sein. Während beide sich auf einer mehrwöchigen Urlaubsreise nach Jalta befinden, liest Lotte in einer Zeitung von dem gerade in Moskau stattfindenden Prozess gegen mehrere Volksfeinde. Einige der im Artikel genannten Personen sind ihr bekannt, mit einem von ihnen hatte das Ehepaar näheren Kontakt.
Für die Kommunisten der damaligen Zeit gestaltete es sich schwierig, zwischen Freund und Feind, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und sich danach entsprechend abzugrenzen und zu positionieren. Für Wilhelm und Lotte ist schnell klar, dass sie ihre Bekanntschaft zu dem Prozessangeklagten der Parteileitung melden müssen, denn ein Verschweigen könnte darauf hindeuten, dass sie selbst etwas zu verheimlichen haben und vielleicht den Angeklagten bei seinen Verbrechen unterstützten. Nur kurz nach Einreichen eines entsprechenden Berichts über die Bekanntschaft zum Angeklagten müssen beide ihre bisherige Wohnung räumen, ins angesehene Hotel Metropol ziehen und auf weitere Anweisungen warten.
Für das Ehepaar beginnt eine Zeit der Hoffnung auf eine neue Zukunft, die aber gleichzeitig verbunden ist mit Ungewissheit, Skepsis und zunehmender Vorsicht im Kontakt mit Jedem, dem sie begegnen. Misstrauen macht sich nicht nur von ihrer Seite aus breit, sondern sie spüren auch die Zurückhaltung der Personen zu ihnen.
Eugen Ruge schafft mit der Verknüpfung der realen geschichtlichen Ereignisse, realer Figuren und fiktiven Ausschmückungen, unter der Vorstellung wie es gewesen sein könnte, ein Zeitdokument, das mir als Leser einen Einblick in den sowjetischen Alltag Mitte der 1930er Jahre gewährte. Er vermittelte mir die steigende Unsicherheit der Sowjetbürger im Umgang miteinander.
Während die Haupthandlung auf Lotte und Wilhelm fokussiert, versetzt der Autor sich in einigen Kapiteln in die tragende Rolle des an den Moskauer Prozessen beteiligten vorsitzenden Richters. Auch hier gelingt ihm eine glaubwürdige Darstellung, die mir zeigte, wie weit Menschen in ihrem Streben nach Macht und Anerkennung bei gleichzeitiger Gehorsamkeit zur obersten Führung und eisernem Festhalten an einer Ideologie zu gehen bereit sind.
Außerdem widmet Eugen Ruge noch einer weiteren Mitarbeiterin der Komintern einige Kapitel. Aus ihrem Schicksal wird deutlich, welchen weiteren glücklichen Verlauf das Leben der Großmutter des Autors im Vergleich genommen hat. Der Autor versteht es, kleine Details zur Untermalung besonderer Situationen zu nutzen, die die Intensität des Erzählten verstärken. Manchmal lässt er in Lottes zunehmenden Gedankenkreisel voller Sorgen nahezu lakonisch Bemerkungen einfließen, die den Roman, dessen Unterton durchgehend bedrückend ist, stellenweise ein wenig aufheitern.
Mit „Metropol“ ist Eugen Ruge erneut ein faszinierender Blick auf ein Stück Zeitgeschichte gelungen, das er authentisch in Romanform unter Einarbeitung eines Teils der eigenen familiären Erlebnisse seiner Großmutter verarbeitet hat. Gerne empfehle ich den Roman weiter.