Wie aus Rick ein Retter und aus Humphrey ein Held wurde
Ob es nun ihre gefühlvollen, berührenden Romane für Erwachsene sind oder ihre phantasievollen und ganz bezaubernden Bücher für junge Leser - Eva Ibbotson zu lesen ist immer ein Fest! Kaum jemand sonst ...
Ob es nun ihre gefühlvollen, berührenden Romane für Erwachsene sind oder ihre phantasievollen und ganz bezaubernden Bücher für junge Leser - Eva Ibbotson zu lesen ist immer ein Fest! Kaum jemand sonst erschafft so liebenswerte Charaktere, mit denen man unglaublich schnell vertraut wird, ganz so, als würde man sie schon ewig kennen, kaum jemand sonst auch webt so feine, zu Herzen gehende, nachdenklich machende Geschichten, in denen sie ihre Botschaften unaufdringlich und mit viel Charme, Humor und immer auch einer guten Portion Exzentrik zum Leser transportiert, wie die einst in Wien geborene englische Schriftstellerin, die im Jahre 2010 hochbetagt verstarb! Und ihre Botschaften sind immer die gleichen, welche Geschichte auch immer sie erzählte: soziales Bewusstsein und Toleranz, Respekt, Wertschätzung, freundlicher und verantwortungsvoller Umgang miteinander und mit der Welt, in der wir alle leben. Ihre Kinderbücher standen völlig zu Recht stets auf den renommierten Bücherlisten ihres Landes und die fantastischen unter ihnen, von denen die allermeisten in der Vor-Harry Potter-Zeit veröffentlicht wurden, erleben im Zuge von Joanne K. Rowlings Bestsellern eine wohlverdiente Renaissance!
An dieser Stelle habe ich das große Vergnügen, Eva Ibbotsons allererstes Kinderbuch, "Das Geheimnis der Geister von Craggyford" zu besprechen, das bereits 1975 unter dem englischen Titel "The Great Ghost Rescue" und in den 90er Jahren unter dem sehr passenden deutschen Titel "Aktion Geisterrettung" erschienen ist.
Sympathisch sind sie allemal, diese auf den ersten Blick gar nicht ansprechenden Gespenster mit ihren seltsamen, stark gewöhnungsbedürftigen Marotten, die sich aber flugs und dank der liebevollen Anteilnahme ihrer Schöpferin an ihrem Schicksal ins Herz des Lesers schleichen - um sich fest darin zu verankern! Man muss ja Mitgefühl haben mit dieser Geisterfamilie, die da so plötzlich ihrer Heimstatt, einem alten Schloss, beraubt wurde, das zu einem blitzblanken Ferienpark ausgebaut werden soll. Die Reinlichkeit, die von nun an in ihrem einst so gemütlichen, von Spinnweben überwucherten Spukschloss einziehen soll, ist überdies nichts, was ihrem Ektoplasma, dem Stoff, aus dem Geister nun mal gemacht sind, und das nur in schmutzigen Ecken erhalten und gepflegt werden kann, förderlich wäre! Guter Rat ist teuer - aber der glückliche Zufall und womöglich auch eine Art siebter Sinn führen die Geisterfamilie - Humphrey, den Schrecklichen, der vergeblich bemüht ist, seinem Namen Ehre zu machen, seine Eltern, die übel duftende Hexe und ihren geliebten Ehemann, den beinlosen Schottischen Kilt, samt den Geschwistern, George, der Schreiende Schädel, und die Wehklagende Winifred - eines schönen Tages direkt vor Ricks Bett in einem Jungeninternat irgendwo in England. Und sie hätten sich kein besseres Ziel aussuchen können, denn Rick ist ein besonderer Junge - wie alle Protagonisten in Eva Ibbotsons Romanen! Er hat, wie man so schön sagt, das Herz auf dem rechten Fleck, ist so hilfsbereit wie abenteuerlustig und macht sich darüberhinaus viele Gedanken um all die Missstände, über die man bereits vor über 40 Jahren zu reden begann, wie Klima, Umweltzerstörung und Artenschutz. Ein echter Pionier also, der gemeinsam mit der so klugen wie patenten Barbara, einziges Mädchen in der Jungenschule, deren Besuch ihr nur deshalb gestattet ist, weil sie die Tochter der Köchin ist, mit der man es sich unter keinen Umständen verderben möchte, einen Plan schmiedet, um den Fortbestand der Geister Großbritanniens, einer aussterbenden Spezies, zu sichern. Gemeinsam mit der Geisterfamilie macht sich Rick auf den Weg nach London, um beim Premierminister höchstpersönlich wegen eines Geisterreservats vorstellig zu werden, eine Reise, die äußerst turbulent verläuft, auf der sie weitere, ihrer Behausung beraubter Geister aufsammeln und an deren Ende sich ein gewisser Lord Bullhaven bereit erklärt, für das geplante Reservat seinen verkommenen Landbesitz Insleyfarne an der wilden schottischen Küste zur Verfügung zu stellen. Eine Falle, wie sich herausstellt, als es schon fast zu spät ist, denn Lord Bullhaven - man ahnt es schon bei der ersten Begegnung mit ihm - ist ein gar unsympathischer Zeitgenosse; er hasst Geister, wie er überhaupt alles hasst, was nicht britisch ist. Und Geister sind für ihn, man lese und staune, Ausländer!
Spätestens hier wird dem schon etwas älteren Leser klar, dass die Autorin, wie in den meisten ihrer Romane, eigene bittere Erfahrungen reflektiert, gehörte sie doch, als österreichischer Flüchtling in den frühen Nazijahren, zu eben jener unerwünschter Volksgruppe, der ob ihres vermeintlichen Andersseins in den Augen leider allzuvieler Menschen kein Platz auf unsrem Planeten zugebilligt wurde. Und indem Eva Ibbotson ihre Craggyford-Geister nebst allen anderen vertriebenen Angehörigen dieser Spezies einen Ort zum Leben fordern lässt, plädiert sie gleichzeitig für Toleranz allen Andersartigen gegenüber, ob Mensch, Tier, Geist oder Vampir, und deren Rechte auf Glück und Sicherheit.
Dass die Geister dem vom bösen Bullford angeordneten Exorzismus, der, obwohl er so fatale Folgen hat, ausgesprochen vergnüglich zu lesen ist, nicht zum Opfer fallen, darf fest vermutet werden, denn die Schriftstellerin, eine erklärte Anhängerin des Happy Ends, lässt ihre fantastischen und weniger fantastischen, auf jeden Fall aber phantasievollen Geschichten stets gut ausgehen. Doch wie ihr das im vorliegenden Roman gelingt und welche Rolle Rick und der reizende Geist Humphrey mit dem rosa Ektoplasma und dem sanften Gemüt, der so gerne schauerlich und schrecklich wäre, dabei spielen, soll an dieser Stelle selbstverständlich nicht preisgegeben werden! Denn eine Lektüre der Geschichte mit ihren so wundersamen und wunderbaren Charakteren, allen voran den Craggyford-Geistern, vor denen man sich wirklich nicht zu fürchten braucht, - schließlich sind die wahren Bösewichte immer nur die Menschen! - lohnt sich in jedem Fall!