Am Rand der Gesellschaft
Erst spät erfährt Agatha, dass sie einen Namen besitzt: taubstumm und in armen Verhältnissen geboren, hat sich niemand so recht mit der kleinen Halbwaise beschäftigt. Nach dem Selbstmord des Vaters wird ...
Erst spät erfährt Agatha, dass sie einen Namen besitzt: taubstumm und in armen Verhältnissen geboren, hat sich niemand so recht mit der kleinen Halbwaise beschäftigt. Nach dem Selbstmord des Vaters wird sie in einem Heim untergebracht, wo Arbeit, Willkür und Missbrauch ihr Dasein bestimmen. Erst als sie sechzehn Jahre alt ist, erscheint eine Frau, die sich mit viel Geduld um sie kümmert. Agathes Leben scheint nun eine glückliche Wendung zu nehmen bis sie eines Tages dem jungen Zenz begegnet …
Äußerst eindrucksvoll beschreibt Flavio Steimann das Aufwachsen der taubstummen Agatha zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in absoluter Stille und ohne viel Zuwendung. Sehr sensibel versetzt er sich (und den Leser) in die Situation des Mädchens, das über viele Jahre hinweg einfach „das Kind" ist, ohne Selbstbewusstsein, nur geduldet in ihrer Umgebung und für einfache Arbeiten zu gebrauchen. Die präzise, starke, teilweise auch archaische Sprache des Autors beschwört klare Bilder von Menschen und Landschaft. In der zweiten Hälfte des Buches steht Zenz im Mittelpunkt, der Agatha im „Krumholz" begegnet. Auch wenn diese Begegnung nicht direkt vom Autor erzählt wird, bestimmt sie das weitere Schicksal beider Protagonisten. Ebenso psychologisch feinfühlig wie in Agathas Fall schildert Steimann das Leben und die Gedankenwelt von Zenz Torecht, der - ebenso wie Agatha - zu den Menschen gehört, die am Rande der Gesellschaft existieren, ausgebeutet und mit wenig Hoffnung.
Steimann greift zwar ein authentisches Verbrechen auf, das 1914 in der Schweiz geschah, gibt dem Thema in seinem Roman jedoch etwas Allgemeingültiges, Gesellschaftspolitisches, das durchaus zeitübergreifend ist.