Cover-Bild Ich, Adrian Mayfield
16,90
inkl. MwSt
  • Verlag: Gerstenberg Verlag
  • Genre: Kinder & Jugend / Jugendbücher
  • Seitenzahl: 512
  • Ersterscheinung: 01.08.2008
  • ISBN: 9783836952002
  • Empfohlenes Alter: ab 14 Jahren
Floortje Zwigtman

Ich, Adrian Mayfield

Rolf Erdorf (Übersetzer), Anne Baier (Zeichner)

London 1884. Adrian Mayfield ist keine 17 und Lehrjunge bei einem Maßschneider in Soho. Als er eines Tages seine Anstellung verliert, sitzt er völlig mittellos auf der Straße. Bei einem ehemaligen Kunden, einem Kunstmaler namens Augustus Trops, findet er zunächst Unterschlupf und beginnt, Modell zu sitzen. Beim Modellsitzen bleibt es nicht, zu Adrians allergrößtem Erstaunen: Ja, er liebt Männer! Im London dieser Zeit ein Verbrechen. Durch Trops erhält Adrian Zugang zu den erlesensten Künstlerkreisen Londons, an deren Spitze Oscar Wilde im Café Royal thront. Adrian beginnt Gefallen zu finden an dieser dekadenten Gesellschaft, an ihren Eskapaden, ihrem Witz, ihrer Freizügigkeit und Intelligenz. Doch weder ein Zuhause noch wahre Freunde findet er hier, auch wenn er das feine Spiel der Verkleidungen und Scheinmanöver bald perfekt beherrscht. Zu viel trennt ihn von dieser illustren Gesellschaft. Am wohlsten fühlt er sich noch bei Vincent Farley, einem reichen jungen Maler, für den er als Modell arbeitet. Doch auch der verlässt im August London, und so bleibt Adrian nur der Weg in das Etablissement in der Little College Street, um nicht zu verhungern. Sind Adrians Träume von der großen Liebe und einem Zuhause nur Luftblasen? Wunschträume, auf deren Erfüllung einer wie er sowieso nicht hoffen darf?

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.09.2019

Eines meiner absoluten Lieblingsbücher!

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Ich stelle heute das Buch „Ich, Adrian Mayfield“ der niederländischen Autorin Floortje Zwingtman von 2005 vor. Zusammen mit den beiden Nachfolgern „Adrian Mayfield – Versuch einer Liebe“ (2009) und dem ...

Ich stelle heute das Buch „Ich, Adrian Mayfield“ der niederländischen Autorin Floortje Zwingtman von 2005 vor. Zusammen mit den beiden Nachfolgern „Adrian Mayfield – Versuch einer Liebe“ (2009) und dem im letzten Jahr erschienen dritten Band „Adrian Mayfield – Auf Leben und Tod“ bildet es eine mittlerweile abgeschlossene Trilogie.

Es ist ein tolles Buch, soviel vorweg. Ich habe es geradezu verschlungen und habe wirklich gedacht ich wandere mit dem guten Adrian durch das Londoner „Fin de siècle“ um 1900. In jedem Fall vom Schmöker- und Interessenfaktor eines meines Jahreshighlights, so viel steht schon fest.

Zum Inhalt:

Der sechzehnjährige Adrian Mayfield ist der Sohn eines gescheiterten Schauspielers, der es durch Glück zum Besitzer einer Schankstube gebracht hat. Nachdem Adrian, seine Schwester Mary Ann und der Angestellte „Gloria“ den Laden eine längere Zeit allein geschmissen haben, verliert ihn der an Alkohol- und Spielproblemen leidende Vater durch seine Misswirtschaft. Adrian kommt als Ladendiener bei einem Herrenschneider namens Procopius unter, wo er den exzentrischen Maler Augustus („Gussy“) Trops kennenlernt. Adrian verliert seine Anstellung durch eine unbedachte Äußerung und kommt zunächst bei dem Dandy Trops unter. Da ihm langsam bewusst wird dass er sexuell gesehen dem eigenen Geschlecht zugeneigt ist, beginnt er mit Trops eine Affäre von der beide profitieren: Adrian bekommt Obdach und Nahrung, während Trops sich sowohl als Maler als auch als Mann an dem schönen jungen Mann labt. Durch Trops wird Adrian in die Welt der exzentrischen Londoner Intellektuellen eingeführt, die sich als Erkennungszeichen die in der Natur so nicht vorkommende „green carnation“ (= grüne Nelke) ausgedacht haben. Hier vermischt sich die Fiktion des Buches mit der Welt des „Fin de siècle“ und ihren Angehörigen, die zum Teil tatsächlich existiert und die Epoche geprägt haben; allen voran der Dichter Oscar Wilde und sein schöner Geliebter „Bosie“ (Lord Alfred Douglas, der mit seinem Vater, dem Marquess of Queensberry auf Kriegsfuß stand), der Zeichner Aubrey Beardsley und vielen anderen mehr.
Adrian fängt an bei dem aus einer reichen Versicherungsfamilie stammenden Maler Vincent Farley Modell zu sitzen, der ihn allerdings nicht als Lustobjekt betrachtet. Doch als die Saison der Neige zugeht und alle reichen Londoner über den Sommer ins Ausland fliehen muss Adrian anderweitig versuchen sein Geld zu verdienen…
Bei dem Eintauchen in die neue Welt wird ihm nach und nach bewusst dass es vor allem eins ist, das ihm nach wie vor fehlt: die Liebe.

Einfach köstlich und lebensecht wie Floortje Zwingtman den jungen Adrian aus der Ich-Perspektive heraus charakterisiert. Die Londoner Cockney-Art von Adrian bringt das Buch in die Nähe des Schelmenromans, obwohl die gesamte Triologie doch eigentlich noch mehr in die klassische Tradition des Bildungsromans zu verorten ist: ein junger Mann entwickelt sich zum Erwachsenen indem ihm allerlei Erlebnisse begegnen, die ihn zu dem machen, was er wird.

Vom Sujet her bekommt man einen ganz besonderen Einblick in die Welt der nachviktorianischen Ära, deren Gesellschaft der Bohème eine war, die es nie zuvor gab und die es wohl in dieser Ausprägung nicht mehr geben wird. Die Künstler (als Portraitmaler oder Schauspieler) sind einerseits gefeierte Stars, andererseits doch Außenseiter (vor allem wenn sie dekadente Sujets malten oder Gedichte schrieben, die diese Themen aufgriffen). Hinzu kommt natürlich die homosexuelle Subkultur, die durch die bestehenden Gesetze und gesellschaftlichen Anfeindungen kriminalisiert wurde und im Untergrund existieren musste. Dem spießbürgerlichen Milieu wurde außerdem die Maske abgezogen, die es sich in der viktorianischen Zeit aufgesetzt hatte.

Schön finde ich dass sich dieses Buch auch an Jugendliche wendet, die zum Lesezeitpunkt im Alter des Protagonisten sind. In diesem Zusammenhang ist es wundervoll, wie unverkrampft Zwingtman mit dem Thema Homosexualität umgeht. Es ist gut dass sie in ihrem Buch bewusstmacht dass die „love that dare not speak its name“ (aus dem Gedicht „Two Loves“ von Lord Alfred Douglas, 1894) heute glücklicherweise sprechen darf.

Das Buch stotzt außerdem vor Intertextualität und Intermedialität und alle, die sich ein wenig mit dieser Zeit beschäftigt haben werden berühmte literarische Werke, die damals geschrieben und rezipiert wurden sowie Gemälde, Zeichnungen etc. wiedererkennen.

Was soll man zu diesem Buch sagen außer: sinnlich, augenzwinkernd, ernsthaft, wahr und unterhaltsam: was will man mehr? Ich freue mich schon auf die nächsten beiden Bände!

Veröffentlicht am 09.08.2019

Fünf Sterne sind nicht genu

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Jeder der das Genre mag, weiß, wie schwer es ist tolle LGBT-Literatur zu finden. Es gibt viel Trash und Belangloses und natürlich auch viel Gutes und Nettes.
Was ich jedoch meine, sind Wow-Romane, die ...

Jeder der das Genre mag, weiß, wie schwer es ist tolle LGBT-Literatur zu finden. Es gibt viel Trash und Belangloses und natürlich auch viel Gutes und Nettes.
Was ich jedoch meine, sind Wow-Romane, die einen umhauen. So richtig gutes Zeug, mit genialer und talentierter Schreibe, das man kaum aus der Hand legen kann und welches einem noch lange nachhängt.
Danach muss man leider sehr lange und geduldig suchen. Auf hunderte stumpfsinnige Geschichten kommt, wenn man Glück hat, eine Perle.
Und die Adrian-Mayfield-Trilogie ist genau das: eine dieser selten Perlen.

Ich habe mich dazu entschieden, die Geschichte so zu bewerten, wie man sie lesen sollte: als ein Ganzes. Es könnte also kleinere Spoiler geben.

Während wir Adrian im ersten Band kennenlernen, mit ihm gemeinsam Freundschaften schließen, an seiner sexuellen Erwachung teilhaben und sich der Zweite auf den Versuch einer Beziehung zwischen ihm und Kunstmaler Vincent Farley fokussiert, erleben wir hier, was tiefe Zuneigung anrichten kann.

Floortje Zwigtman beschreibt den schmalen Grad zwischen Liebe und Hass so real und gut, dass man gar nicht anders kann, als mitzuleiden. Man möchte Adrian schütteln und zur Besinnung bringen, während man sich an seine eigenen Teenagertage und die Dummheiten, die man aus Liebe gemacht hat, erinnert.

Vor allem eine bestimmte Sache, die ich in Zeiten des Self-Publishing, der selbsternannten Schreiberlinge und der Rezensionen, die manchmal leider jeglicher Rechtschreibung und Grammatik entbehren, weil manche Menschen keine Lust haben, einfach nochmal drüber zu gucken, so schmerzlich vermisse, sprang mir hier (neben Talent) auf jeder Seite entgegen:

Mühe.

Die Autorin muss wahnsinnig viel Zeit und Mühe in Recherche gesteckt haben, um eine so grandiose und glaubwürdige Geschichte zu schreiben, die nicht nur in einem anderen Land und einer anderen Zeit spielt, sondern auch noch reale Ereignisse mit Fiktion verbindet.

Die Schilderung der Wilde-Prozesse war genauso gelungen, wie die Beschreibung des Mannes selbst und Zwigtmans Version von Bosie hat mir sehr gefallen. Ja, er war der verwöhnte, egoistische Junge, mit dem regelmäßig das Temperament durchging, der viele hässliche Worte sagen konnte und der meinte, ihm müsse die Welt zu Füßen liegen. Aber eben auch ein verzweifelter, trauriger Charakter.

Generell gibt es keine Schwarz-Weiß-Malerei oder Klischees. Bitterböse oder eine reine Unschuldsseele ist hier niemand und das ist etwas, was man heutzutage leider ebenso wenig findet, wie die Fähigkeit der Autorin, Figuren mit jeder Menge Tiefgang und haufenweise Facetten zu entwickeln.

Ein weiteres dickes Plus ist Adies Entwicklung und all die Erkenntnisse, die ihm während seiner schwierigen Zeit kommen.
Ich wollte am liebsten ins Buch springen und den Jungen umarmen, ihm sagen, dass alles gut wird und dass er es sich nicht so schwer machen soll.

Wer nach der ultimativen Liebe mit Happy-End sucht, wird hier nicht fündig (oder doch, nur eben nicht so wie man denkt).
Es gibt nicht "das eine Paar", das zusammenkommt, auseinandergeht, streitet und wieder zusammenkommt - zum Glück, denn meistens mag ich diese Push-and-Pull Spielchen nicht besonders, die viele so zu lieben scheinen.

Hier geht es schlicht und einfach um Adrian Mayfield, der uns in seiner sturen Art als Ich-Erzähler das Herz stielt.
Adie mit all seinen Macken, Ecken und Kanten (aber auch seiner Liebenswürdigkeit), der die Entdeckung macht, dass er sich vielleicht an eine völlig falsche Vorstellung von dem Mann, den er liebte, geklammert hat.
Den die Erkenntnis trifft, dass er mit diesem Mann wahrscheinlich niemals glücklich geworden wäre.
Der in seiner Neigung weder Sünde, noch Ungesundes sieht, sich dazu entschließt, er selbst zu bleiben und dafür belohnt wird. Welch schönere Message könnte man den Leserinnen und Lesern mitgeben?

Bei Vincent lagen meine Gefühle immer irgendwo zwischen Mitleid und Wut. Eigentlich war es mehr Mitleid, vor allem in einer Szene im zweiten Band, in der Adie zu weit geht.
Er zerstört damit das zarte Band zwischen ihm und Vincent und die Konsequenzen daraus waren für mich glaubwürdig, nachvollziehbar und tatsächlich sogar wünschenswert. An dieser Stelle stand ich ganz eindeutig auf Vincents Seite und die Autorin hat es gut hinbekommen, hier nichts zu romantisieren.

Eine meiner Lieblingsfiguren wurde Terry, der meiner Meinung nach ruhig mehr "On-Screen-Zeit" hätte bekommen können. Toller Junge.

Was am Ende aus Adie (und auch Vincent) wurde, hat mich vollends überzeugt: Diese Reihe ist das beste, was ich seit langem gelesen habe.

Fazit: Eine wunderbare Geschichte über einen Jungen, der sich selbst und die Liebe kennenlernt, der Dummheiten und Fehler macht, aber auch daran wächst.
Eine Geschichte über die Zeiten Oscar Wildes, die Scheinheiligkeit und Doppelmoral der Gesellschaft und die absolut irrationale und hirnlose Dummheit von Homophobie (die es ja leider heute noch gibt - in einigen Jahren werden die Menschen hoffentlich auch auf unsere Zeit mit einem Kopfschütteln zurückblicken).
Eine Geschichte, die ich (gemeinsam mit ihrem wundervollen Protagonisten) in mein Herz geschlossen habe, dich ich nie vergessen und wieder lesen werde.
Leider kann ich nur fünf Sterne vergeben, ansonsten würde ich hunderte regnen lassen!