Eines meiner absoluten Lieblingsbücher!
Ich stelle heute das Buch „Ich, Adrian Mayfield“ der niederländischen Autorin Floortje Zwingtman von 2005 vor. Zusammen mit den beiden Nachfolgern „Adrian Mayfield – Versuch einer Liebe“ (2009) und dem ...
Ich stelle heute das Buch „Ich, Adrian Mayfield“ der niederländischen Autorin Floortje Zwingtman von 2005 vor. Zusammen mit den beiden Nachfolgern „Adrian Mayfield – Versuch einer Liebe“ (2009) und dem im letzten Jahr erschienen dritten Band „Adrian Mayfield – Auf Leben und Tod“ bildet es eine mittlerweile abgeschlossene Trilogie.
Es ist ein tolles Buch, soviel vorweg. Ich habe es geradezu verschlungen und habe wirklich gedacht ich wandere mit dem guten Adrian durch das Londoner „Fin de siècle“ um 1900. In jedem Fall vom Schmöker- und Interessenfaktor eines meines Jahreshighlights, so viel steht schon fest.
Zum Inhalt:
Der sechzehnjährige Adrian Mayfield ist der Sohn eines gescheiterten Schauspielers, der es durch Glück zum Besitzer einer Schankstube gebracht hat. Nachdem Adrian, seine Schwester Mary Ann und der Angestellte „Gloria“ den Laden eine längere Zeit allein geschmissen haben, verliert ihn der an Alkohol- und Spielproblemen leidende Vater durch seine Misswirtschaft. Adrian kommt als Ladendiener bei einem Herrenschneider namens Procopius unter, wo er den exzentrischen Maler Augustus („Gussy“) Trops kennenlernt. Adrian verliert seine Anstellung durch eine unbedachte Äußerung und kommt zunächst bei dem Dandy Trops unter. Da ihm langsam bewusst wird dass er sexuell gesehen dem eigenen Geschlecht zugeneigt ist, beginnt er mit Trops eine Affäre von der beide profitieren: Adrian bekommt Obdach und Nahrung, während Trops sich sowohl als Maler als auch als Mann an dem schönen jungen Mann labt. Durch Trops wird Adrian in die Welt der exzentrischen Londoner Intellektuellen eingeführt, die sich als Erkennungszeichen die in der Natur so nicht vorkommende „green carnation“ (= grüne Nelke) ausgedacht haben. Hier vermischt sich die Fiktion des Buches mit der Welt des „Fin de siècle“ und ihren Angehörigen, die zum Teil tatsächlich existiert und die Epoche geprägt haben; allen voran der Dichter Oscar Wilde und sein schöner Geliebter „Bosie“ (Lord Alfred Douglas, der mit seinem Vater, dem Marquess of Queensberry auf Kriegsfuß stand), der Zeichner Aubrey Beardsley und vielen anderen mehr.
Adrian fängt an bei dem aus einer reichen Versicherungsfamilie stammenden Maler Vincent Farley Modell zu sitzen, der ihn allerdings nicht als Lustobjekt betrachtet. Doch als die Saison der Neige zugeht und alle reichen Londoner über den Sommer ins Ausland fliehen muss Adrian anderweitig versuchen sein Geld zu verdienen…
Bei dem Eintauchen in die neue Welt wird ihm nach und nach bewusst dass es vor allem eins ist, das ihm nach wie vor fehlt: die Liebe.
Einfach köstlich und lebensecht wie Floortje Zwingtman den jungen Adrian aus der Ich-Perspektive heraus charakterisiert. Die Londoner Cockney-Art von Adrian bringt das Buch in die Nähe des Schelmenromans, obwohl die gesamte Triologie doch eigentlich noch mehr in die klassische Tradition des Bildungsromans zu verorten ist: ein junger Mann entwickelt sich zum Erwachsenen indem ihm allerlei Erlebnisse begegnen, die ihn zu dem machen, was er wird.
Vom Sujet her bekommt man einen ganz besonderen Einblick in die Welt der nachviktorianischen Ära, deren Gesellschaft der Bohème eine war, die es nie zuvor gab und die es wohl in dieser Ausprägung nicht mehr geben wird. Die Künstler (als Portraitmaler oder Schauspieler) sind einerseits gefeierte Stars, andererseits doch Außenseiter (vor allem wenn sie dekadente Sujets malten oder Gedichte schrieben, die diese Themen aufgriffen). Hinzu kommt natürlich die homosexuelle Subkultur, die durch die bestehenden Gesetze und gesellschaftlichen Anfeindungen kriminalisiert wurde und im Untergrund existieren musste. Dem spießbürgerlichen Milieu wurde außerdem die Maske abgezogen, die es sich in der viktorianischen Zeit aufgesetzt hatte.
Schön finde ich dass sich dieses Buch auch an Jugendliche wendet, die zum Lesezeitpunkt im Alter des Protagonisten sind. In diesem Zusammenhang ist es wundervoll, wie unverkrampft Zwingtman mit dem Thema Homosexualität umgeht. Es ist gut dass sie in ihrem Buch bewusstmacht dass die „love that dare not speak its name“ (aus dem Gedicht „Two Loves“ von Lord Alfred Douglas, 1894) heute glücklicherweise sprechen darf.
Das Buch stotzt außerdem vor Intertextualität und Intermedialität und alle, die sich ein wenig mit dieser Zeit beschäftigt haben werden berühmte literarische Werke, die damals geschrieben und rezipiert wurden sowie Gemälde, Zeichnungen etc. wiedererkennen.
Was soll man zu diesem Buch sagen außer: sinnlich, augenzwinkernd, ernsthaft, wahr und unterhaltsam: was will man mehr? Ich freue mich schon auf die nächsten beiden Bände!