Meisterhafte Dialoge
Bern, 1948: Kommissar Bärlach liegt todkrank im Krankenhaus, er hat vielleicht noch ein Jahr zu leben. In der Zeitschrift „Life“ stößt er auf das Bild des berüchtigten Arztes Nehle, der im Konzentrationslager ...
Bern, 1948: Kommissar Bärlach liegt todkrank im Krankenhaus, er hat vielleicht noch ein Jahr zu leben. In der Zeitschrift „Life“ stößt er auf das Bild des berüchtigten Arztes Nehle, der im Konzentrationslager Stutthof Gefangene ohne Narkose operiert hat. Bärlachs behandelnder Arzt und Freund Dr. Hungertobel erschrickt, als er das Bild sieht, denn er glaubt, den Arzt zu kennen. Er ist jetzt der Leiter einer erlesenen Privatklinik in Zürich. Obwohl er sehr krank ist und eigentlich auch schon pensioniert, beginnt Bärlach zu ermitteln. Denn er will die „Unmenschlichkeit in jeder Form“ bekämpfen.
Dürrenmatts „Der Verdacht“ mutet auf den ersten Blick an wie ein Kriminalroman, ist aber weitaus mehr – nämlich eine philosophische Betrachtung über Moral, Glaube, Freiheit und Überzeugung. Vor allem geht es um die Frage: Wer hindert den Menschen daran böses zu tun, wenn er an nichts glaubt? Zwischendurch setzt sich Bärlach auch sehr selbstkritisch mit der Rolle der Schweiz während des dritten Reichs auseinander. Die Krimihandlung bildet lediglich den Rahmen. Es soll aber auch gar nicht darum gehen, herauszufinden wer der Täter ist.
Dürrenmatts große Stärke sind seine Dialoge. Stellenweise sind diese wirklich meisterhaft – wie der Dialog zwischen Bärlach und dem verdächtigen Arzt im zweiten Teil des Romans. „Zeigen Sie mir Ihren Glauben“ fordert da der Arzt den Kommissar auf. Als Bärlach schweigt, setzt der Arzt nach: „Man liebt es heute zu schweigen, wenn man gefragt wird, wie ein Mädchen, dem man eine peinliche Frage stellt. Man weiß ja auch nicht recht, woran man eigentlich glaubt.“ Wie soll man bei so viel Sprachlosigkeit, dem Bösen in der Welt etwas entgegensetzen können? „Der Verdacht“ ist nicht Dürrenmatts bester Roman, aber trotzdem sehr zu empfehlen. Tiefgründig, philosophisch und exzellent geschrieben.