Jede Enttäuschung öffnet die Augen und verschließt das Herz
Rosa lebt ein kleines beschauliches Leben, arbeitet als Frisörin und kann ihr Glück kaum fassen, dass ausgerechnet Schützenkönig Sigi sie als seinen größten persönlichen Sieg ansieht. Nach der Geburt von ...
Rosa lebt ein kleines beschauliches Leben, arbeitet als Frisörin und kann ihr Glück kaum fassen, dass ausgerechnet Schützenkönig Sigi sie als seinen größten persönlichen Sieg ansieht. Nach der Geburt von Sohn Severin wird aber aus dem Glück langsam aber sicher eine Beziehung, die sich immer mehr ins Aus bugsiert. Erst mit Klaus kommt wieder Glanz und Ansehen ins Rosas Welt. Im Verlauf der Jahre muss Rosa aber tatenlos mit ansehen, wie auch ihr zweiter Mann von den Tücken der Zeit eingeholt wird und sich verändert. Ist Glück wirklich wie ein Vogerl, das sich nicht dauerhaft einfangen lässt ?
Mit "Brief vom Vater" legt Gabriele Kögl einen sehr gesellschaftskritischen und zugleich melancholischen Roman vor, der nicht nur tiefe emotionale Einblicke in das Leben von Rosa enthält, sondern auch auf das Innenstadtsterben aufmerksam macht, von dem wir alle betroffen sind.
Dabei ist ihr die Figur der Rosa wirklich sehr gut gelungen und Kögl ermöglicht ihren Leser;innen, in Herz und Gedanken ihrer Prota zu lesen wie in einem offenen Buch. Von der ersten Verliebtheit über Resignation bis hin zur bitteren Erkenntnis am Ende des Buches ist Rosa eine Art Weggefährtin, die viele Stationen ihres Lebens mit den Lesenden teilt. Dabei geht die Autorin wirklich nicht zimperlich mit ihren Figuren und der Leserschaft um, prangert das Konsumverhalten und den damit verbundenen Konsequenzen genauso an wie die Tatsache, dass hinter einer schönen Fassade oftmals eine hässliche Fratze wohnt, die irgendwann zum Vorschein kommt.
Tragische Figur ist dabei Severin, der seinen Platz im Leben und im Herzen seines Vaters nie wirklich so richtig gefunden hat. Er muss regelrecht dabei zusehen, wie sich das Bild seiner eigentlichen Familie nachhaltig verändert, gehört nie ganz dazu und verliert trotzdem nach und nach alles, woran sein Herz hängt. Ein mehr als bittere Erfahrung, die ihn prägt und die er nicht überwinden kann. Erst recht nicht, als er nach dem Tod seines Vaters dessen letzte Worte liest, die sein Herz in tausend Stücke bersten lassen.
Es sind leise, aber doch eindringliche Worte, mit denen die Autorin dieses manchmal doch sehr ironische Buch füllt, die vielleicht aber genau deswegen sehr tief gehen. Oberflächlichhkeit, Bussi-Bussi-Gesellschaft, Aufstieg und Fall ihrer Figuren sowie emotionale Kälte und Abgestumpftheit verursachen Betroffenheit, sind aber im Grunde nichts anderes, als unser aller Alltag. Wie oft verurteilen wir jemanden, den wir gar nicht richtig kennen nach Aussehen, Erfolg oder Niederlage und merken dabei nicht, dass unser Verhalten und unsere Verachtung eine verletzende Enttäuschung für unser gegenüber ist, dessen Herz sich nach und nach immer mehr verschließt, obwohl der die Welt mit anderen Augen sieht.
Auch wenn der Grundkonsens sehr traurig und ernst ist, gelingt es Figur Rosa, sich freizuschwimmen und hinter die Masken zu blicken, die ihr soviel Leid verursacht haben. Ein Roman, der sich deutlich vom Mainstream abhebt und durch sein "Anderssein" zum Nachdenken anregt.