Sardinien wie man es nicht kennt …
Gerade mal einen Monat durfte der 6-jährige Gavino zur Dorfschule gehen, dann wird er von seinem Vater rigoros heraus genommen und gezwungen, als Hirtenjunge die Schafe und Ziegen der Familie zu hüten. ...
Gerade mal einen Monat durfte der 6-jährige Gavino zur Dorfschule gehen, dann wird er von seinem Vater rigoros heraus genommen und gezwungen, als Hirtenjunge die Schafe und Ziegen der Familie zu hüten. Für den kleinen, zarten Jungen beginnt eine schier unmenschliche Zeit, in der er alleine der kargen Wildnis in Sardiniens Bergen ausgesetzt ist. Statt wohlbehüteter Kindheit durchlebt Gavino ein endloses Martyrium, bei dem er selbst beim kleinsten Fehler vom Vater gnadenlos gezüchtigt wird. Das soll sich erst ändern, als er sich mit 20 Jahren freiwillig zum Militär meldet. Dort lernt er endlich Lesen und Schreiben, macht eine Lehre als Radiomechaniker und bildet sich autodidaktisch so weit, dass er sogar die Prüfung als Lehrer besteht. Dann geht er zurück in sein Dorf Siligo auf Sardinien, wo sich nichts verändert hat …
Was anmutet wie finsterstes Mittelalter, ist noch gar nicht so lange her. Der Autor Gavino Ledda veröffentlichte seine Autobiografie erstmals 1975 auf Italienisch, 1977 wurde das Buch verfilmt, die erste deutsche Übersetzung erschien 1980. Es ist ein erschütternder Bericht über eine unvorstellbar harte Kindheit und Jugend auf Sardinien in den Jahren zwischen 1945 und etwa 1965, geprägt von Demütigungen und Schlägen, aber auch über den unbändigen Willen eines jungen Mannes zu lernen, sich zu bilden und sich von der Abhängigkeit des übermächtigen Vaters zu lösen. Gavino Ledda bedient sich einer kraftvollen, schnörkellosen Sprache und beschönigt dabei nichts – nicht die Lebensbedingungen auf dem Niveau von Tieren, nicht die Grausamkeit der Menschen, nicht die sexuellen Nöte, nicht die bestialische Gewalt und nicht die existenziellen Ängste. Es ist auch eine herbe Kritik an der Gesellschaft, die das Analphabetentum tolerierte und bei Kinderarbeit, Unterdrückung und brutaler Züchtigung einfach wegsah. Wunderbare Natur- und Landschaftsbeschreibungen versöhnen und runden die Geschichte passend ab.