Ein Oskar für die Deutschen
„Die Blechtrommel“ gehört nicht zu den Romanen, die ich in der Schule lesen musste. Zum Glück – denn die sprachliche Gewalt und der fantasievolle Ausdruck wäre an mich als Teenager verschwendet gewesen. ...
„Die Blechtrommel“ gehört nicht zu den Romanen, die ich in der Schule lesen musste. Zum Glück – denn die sprachliche Gewalt und der fantasievolle Ausdruck wäre an mich als Teenager verschwendet gewesen. Auch die Vielschichtigkeit Oskar Matzeraths in seiner selbstgewählten Zwergen- und Narrenrolle hätte mir wohl erst in quälenden Deutschstunden vorgekaut werden müssen. Nun aber – ganz freiwillig in die Lektüre gestürzt – konnte ich diesen so deutschen Roman genießen.
Der Interpretationen gibt es viele- ich füge dem Kanon darum nichts hinzu, wohl aber den Lobreden auf die „Blechtrommel“ ein paar Zeilen: Günter Grass‘ Meisterwerk ist 1959 erstmals erschienen und hat bei den Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs Furore gemacht: nicht zu knapp Lob und Tadel. Die Qualität des Romans zeigt sich heute, denn auch 74 Jahre nach Kriegsende und Vertreibung erschüttert „Die Blechtrommel“ den Leser ins Mark. Die Nazis und ihre Verbrechen werden nicht dämonisiert oder verzerrt – verzerrt ist ja schon der erzählende „Krüppel“ -, sondern in beiläufiger Weise erzählerisch belebt. Das ermöglicht eine teilnehmende Lektüre, die selbst den Nachgeborenen gelingt.
Oskar ist nicht sympathisch. Im Gegenteil – ich mag ihn nicht. Er ist wahnsinnig egoistisch, launisch und ungezogen- Diese kindlichen Eigenschaften befähigen ihn aber erst zum direkten Blick auf die Wahrheit: „Narrenmund tut Wahrheit kund“. Und diese Wahrheiten betreffen die politischen Kataklys4men der Zeit genauso wie die vielen privaten und familiären Katstrophen in Oskars unmittelbarem Umfeld. Hinzu kommt die fast magische Fähigkeit der Trommel, auch zeitlich ferne Situationen wahrhaftig heraufzubeschwören, so dass Grass seinen Erzähler ein komplettes Bild wiederzugeben erlaubt.
Mir hat das ausgesprochen gut gefallen, auch wenn das dritte Buch – das Leben in Düsseldorf nach dem Krieg – abfällt. Volker Schlöndorffs Entscheidung, seinen Oskar-prämierten (haha!) Kinofilm auf die beiden ersten Bücher zu beschränken, funktioniert wahrscheinlich deshalb (ich habe ihn nicht gesehen, weil immer erst das Buch lesen wollte).
Kurzum: Es lohnt sich, diesen deutschen Nachkriegsroman zu lesen – wegen der Sprache, wegen der Erzählkunst und wegen der Geschichte.
Autor: Günter Grass