Cover-Bild Ich war ein Blitzmädel
Band 7 der Reihe "Memoria. Erinnerungen an das 20. Jahrhunderts"
5,99
inkl. MwSt
  • Verlag: Edition Raetia
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: allgemein und literarisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Ersterscheinung: 19.09.2014
  • ISBN: 9788872835111
Hilde Kerer

Ich war ein Blitzmädel

Frauenkameradschaft in der Wehrmacht
"Da hätten sie mir den Kopf abreißen können", sagt die heute 95-jährige Hilde Kerer, die 1939 für Deutschland optierte. Weil sie die Freundschaft zu einer Dableiberin nicht aufgeben wollte, wurde die Brixnerin von Gleichgesinnten geschnitten. Dieser Druck, der sich in der Zeit zwischen italienischem Faschismus und aufkeimendem Nationalsozialismus in der Südtiroler Gesellschaft aufbaute, war prägend für Kerer.

1940 wanderte sie ins Deutsche Reich aus und wurde zu einem sogenannten Blitzmädel, einer Nachrichtenhelferin der Wehrmacht. Ab 1943 fand sie sich mitten im Krieg vorerst in Russland und dann in Frankreich wieder, wo sie nach der Invasion der alliierten Streitkräfte einen Bombenabwurf überlebte, der zwei ihrer Kolleginnen das Leben kostete.

Die weibliche Kameradschaft war für Kerer ein geschütztes Umfeld, in dem sie die Schrecken des Krieges und der deutschen Besatzung ausblenden konnte. Das Erlebte vertraute sie zwischen 1942 und 1944 ihrem Tagebuch und Jahrzehnte später dem Publizisten Thomas Hanifle an, der ihre Erinnerungen in das vorliegende Buch einarbeitete.

Weitere Formate

Lesejury-Facts

  • Dieses Buch befindet sich bei Venatrix in einem Regal.
  • Venatrix hat dieses Buch gelesen.

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.11.2020

Aus dem Leben einer Wehrmachtshelferin

0

Der Kern dieses Buch sind die Tagebuchaufzeichnungen der Hilde Kerer, die 1919 in Brixen (Südtirol) als Tochter eines Gastwirtsehepaars geboren wurde. Hilde optiert 1939 für Deutschland und gibt gleichzeitig ...

Der Kern dieses Buch sind die Tagebuchaufzeichnungen der Hilde Kerer, die 1919 in Brixen (Südtirol) als Tochter eines Gastwirtsehepaars geboren wurde. Hilde optiert 1939 für Deutschland und gibt gleichzeitig die Freundschaft mit Maria „Midl“ Kofler, die sich für‘s in Südtirol also Italien bleiben, entschieden hat, nicht auf. Deswegen wird Hilde angefeindet und wandert 1940 nach Deutschland aus.

Nach mehreren Jobs, unter anderem als Sportwartin und Schneiderin, macht sie eine Ausbildung zur Nachrichtenhelferin. Als sogenanntes „Blitzmädel“ ist sie Teil der Wehrmacht. Ihre Erlebnisse in den Jahren 1942-1944 vertraut sie ihrem Tagebuch an.

Meine Meinung:

Vorerst ist anzumerken, dass diese Biografie aus der Reihe „Memoria – Erinnerungen an das 20. Jahrhundert“ des Raetia-Verlages aus Erzählungen der zur Zeit der Interviews 95-jährigen Hilde Kerer entstanden ist. Die Tagebucheintragungen zwischen dem 28.10.1942 (Aufbruch zur Ausbildung) und dem 8.8.1944 (Flucht aus Frankreich) bilden den zentralen Teil der Geschichte. Autor Thomas Hanifle ergänzt im Vorwort und die Historikerin Siglinde Clementi unter dem Titel „Sich wehren und hartnäckig sein. Zum autobiografischen Gedächtnis und Selbstbild von Hilde Kerer“ im Nachwort. Die beiden Autoren bringen dem Leser, der vielleicht mit der Geschichte Südtirols bzw. dem Faschismus in Italien nicht so vertraut ist, die Lebensumstände der Menschen wie Hilde näher.

Hilde schreibt viele tägliche Dinge auf, die manchmal auch belanglos wirken. Vor allem mäkelt sie mehrfach an der Unterbringung, dem Essen und an den Jobs bzw. Ausbildern herum. Es scheint, als hätte sie das „große Abenteuer“ gesucht, aber nicht gefunden. Aus der versprochenen Stationierung auf der Halbinsel Krim wird nichts. Sie wird nach Minsk abkommandiert, was ihr gar nicht gefällt.

„Schnee, Kälte und Bolschewismus, der uns immer als furchtbar und grausam geschildert wurde. So gesehen war es nur gut und recht, dass die Deutschen das Land und die Menschen dort von diesem Ungetüm befreiten. So naiv dachte auch ich damals.“

Über ihre Arbeit als Nachrichtenhelferin berichtet sie wenig. Ihr Augenmerk liegt eher beim Freizeitvergnügen mit ihren Kameradinnen.

So ist auch ihre Aussage über ihre Zeit als Blitzmädel ein wenig befremdlich: „Wäre nicht der Krieg gewesen, dann wäre es eine schöne Zeit gewesen.“
Erst als sie bei einem Bombenangriff in Poitiers verschüttet und verletzt wird und zwei Freundinnen getötet werden, kommt ein wenig Kriegsalltag in die Geschichte.

Interessant ist Hildes Aussage, sich nicht für Politik zu interessieren. Hier scheint es ein Umdenken gegeben zu haben. Denn als junges Mädchen in ihrer Heimat Südtirol ist sie sehr wohl politisch interessiert, wie ihr Widerstand gegen die Italianisierung im Dorf zeigt. Statt des italienischen „Eviva!“, schreit sie „Hoch! Hoch“. Sie lernt verbotenerweise Deutsch mit ihrer Schwester Paula und Maria „Midl“ Kofler, die als „Katakombenlehrerin“ deswegen für zwei Jahre nach Lauria deportiert wird.

Auch hier zeigt sich der Widerspruch der Zeit: Anfangs ist Midl Kofler ob ihrer Verbannung eine Heldin, ja eine Märtyrerin für die deutschsprachigen Südtiroler. Doch als sie sich, statt für Deutschland und Hitler zu optieren, für’s „Dabeibleiben“ entscheidet, gilt sie als Verräterin der deutschen Sache.

Hilde Kerer ist mir nicht sehr sympathisch, da sie sehr ich-bezogen erscheint. Allerdings ist es schwierig mit dem Wissen von heute und ohne persönliche Begegnung, die Beweggründe für ihr Verhalten zu verstehen. Vielleicht war es reiner Selbstschutz, so und nicht anders zu agieren. Dabei ist sie, wie sie selbst sagt, nicht die Einzige, die sich so durch die NS-Zeit laviert.

Gut gefallen hat mir der Aufbau des Buches, denn die Geschichte der Hilde Kerer lässt sich in einem Stück lesen und wird von Vorwort und Nachwort umrahmt. Die Fotos aus dem Besitz von Hilde Kerer ergänzen diese Worte perfekt.

Fazit:

„Ich war ein Blitzmädel. Frauenkameradschaft in der Wehrmacht“ ist eine sehr interessante Biografie aus der NS-Zeit, die auf dem Tagebuch einer Wehrmachtshelferin beruht. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.