Urban-Fantasy-Krimi im Berlin der 1920er Jahre – überladen, detektivisch, emotionsarm
Die Autoren Judith und Christian Vogt präsentieren hier einen Urban-Fantasy-Historienkrimi/-Detektivgeschichte im Berlin der 1920er Jahre. Viele Themenfelder spielen eine Rolle: Mord, Polizei, Wissenschaft, ...
Die Autoren Judith und Christian Vogt präsentieren hier einen Urban-Fantasy-Historienkrimi/-Detektivgeschichte im Berlin der 1920er Jahre. Viele Themenfelder spielen eine Rolle: Mord, Polizei, Wissenschaft, Kunst, Magie, Armut, Selbstfindung in einer sich schnell wandelnden Welt, Frauenrechte, Politik (Weimarer Republik, Anarchisten, Kommunisten, Nazis, Juden), …
Ich mag eigentlich Urban Fantasy (z. B. Das geheimnisvolle Leben der Addie LaRue von V. E. Schwab) und Historienkrimis und historische Romane (z. B. Sturm-der-Zeit-Reihe von Andreas Izquierdo, Familiensaga von Michaela Saalfeld – beides auch in den 1910ern/20ern in Berlin verortet). Hier wurde ich irgendwie nicht warm mit der Geschichte.
Erklärungsversuche: Die Erzählweise wirkte auf mich manchmal sprunghaft und überladen. Es war schwer zu verstehen, warum ich mich an bestimmten Orten aufhalte und auf was besonders zu achten ist. Wenn ich nach einer Pause weiterlas, stellte ich oft fest, Entwicklungen und Erkenntnisse vergessen zu haben, sodass ich zurückblätterte, um den Anknüpfungspunkt wiederzufinden. Daher kam bei mir kein Lesefluss und kein Sog auf.
Zentrale Figuren sind die Physikerin/Hilfswissenschaftlerin Nike, der Prager Künstler Sandor und der alte Polizist Seidel. Alle geben sich unnahbar, wirken unzufrieden und unsympathisch. Dementsprechend konnte ich nicht so mitfiebern wie ich es mir gewünscht hätte. Teils ging die Charakterisierung für meinen Geschmack über‘s Ziel hinaus. Ein Beispiel: Nike ist bemüht, ernst genommen zu werden und nicht auf ihre Weiblichkeit und dementsprechende Rollenbilder reduziert zu werden. Sie kritisiert das Lohngefälle zwischen Mann und Frau, kleidet sich männlich und hasst den Ausdruck „Fräulein“. So weit, so gut. Und diese Wut auf die Gesellschaft und ihre Ängste um eigene Unzulänglichkeiten finde ich auch kraftvoll inszeniert. Als sie dann aber anfängt, Gendersprache durchsetzen zu wollen, zum Beispiel im Gespräch korrigiert, es heiße „Wählerinnenstimme“ – wohlgemerkt vor 100 Jahren, als Frauen erst seit Kurzem das Wahlrecht hatten und Studienabschlüsse erlangen konnten – fand ich das zu dick aufgetragen.
Als interessant und bildhaft erlebte ich die betrachteten Lebensverhältnisse und baulichen Miseren. Cool ist zudem, dass reale Persönlichkeiten (vor allem Wissenschaftler und Politiker) ins Geschehen eingebunden sind. Ein kleiner Lerneffekt ist eingetreten.
Dass mir die Reizüberflutung einen Lesegenuss verdarb und ich mittig abbrach, möchte ich hier nicht zu stark gewichten, aus Respekt vor der Leistung, dass J. C. Vogt so viele Themen übereinbringen und erkennbar wortgewaltig schreiben können, daher drei Sterne.