Ein Hillbilly findet seinen Weg
Ich muss ehrlich zugeben: Hätte ich in der Uni nicht den Kurs „Representing Poverty in the U.S.“ belegt, dann hätte ich höchstwahrscheinlich auch niemals dieses Buch gelesen. Schande über mich, denn Hillbilly-Elegie ...
Ich muss ehrlich zugeben: Hätte ich in der Uni nicht den Kurs „Representing Poverty in the U.S.“ belegt, dann hätte ich höchstwahrscheinlich auch niemals dieses Buch gelesen. Schande über mich, denn Hillbilly-Elegie hat mich wirklich aus den Socken gehauen. Nicht nur J.D. Vances Schreibstil fand ich grandios, mich hat vor allem beeindruckt, mit wie viel Feingefühl er die schwierigen Gesellschaftsthemen vermittelt hat.
Seine Geschichte erinnerte mich zuerst an dieses typische Cinderella-Thema – ein Junge aus ärmlichen und doch recht asozialen Verhältnissen studiert letztendlich an der Yale Universität Jura und arbeitet später in einer Investmentfirma. Doch in einer Hinsicht hat J.D. Vance ein deutliches Vorteil gegenüber Aschenputtel. Er hat liebevolle Großeltern und eine hilfsbereite Schwester, die ihm in jeder Lebenslage zur Seite stehen und nur das Beste für ihn wollen. Mamaw und Papaw – diese beiden haben nicht nur den Autor geprägt, sondern liefern auch hilfreiche Ratschläge über jede Buchseite hinaus.
Das Buch liest sich unglaublich schnell. Zeile um Zeile habe ich seine Worte verschlungen und ihn dabei immer mehr bewundert. Ich fand es faszinierend zu lesen, wie ein Junge, der eigentlich der beste Kandidat für ein Hillbilly-Leben ist, den Absprung schafft und in einer gehobenen Gelsellschaft seinen Platz findet. Dies alles passierte aber nicht von heute auf morgen. Es gab viele Wegbegleiter in J.D. Vances Leben, die ihm gezeigt haben, wie man Rechnungen schreibt, sich passend für ein Bewerbungsgespräch kleidet oder welche Gabel man in einem feinen Restaurant zuerst benutzen soll. Traurigerweise waren diese richtungsweisenden Personen weder seine Eltern noch seine Großeltern. Es waren die Ausbilder in der Navy, Professoren der Ohio State und Yale Universitäten und später auch zukünftige Chefs.
Obwohl ich all seine Erfolge mit ihm gefeiert habe, gefiel mir eine Sache weniger gut: der Gebrauch der „wir“ und „sie“ Formen. „Wir“, ganz klar, sind die Hillbillys und mit „sie“ ist die gehobene Gesellschaft gemeint. Viele aus meinem Seminar kamen hier zu dem Punkt: Für wen hält er sich eigentlich? Normalerweise schreiben Menschen ihre Memoiren in der Ich-Form, was J.D. Vance zum Großteil auch gemacht hat, doch die gelegentlichen „wir“ und „sie“ Einschübe verallgemeinern seine Aussagen und Behauptungen. Dadurch stellt er sich selbst als ein kleines Phänomen dar und dies kann schnell falsch verstanden oder sogar als angeberisch aufgefasst werden.
Mich persönlich hat dies weniger gestört. Ich bin von seinem Erfolg nach wie vor sehr angetan und konnte diese kleine Oberflächlichkeit leicht überschauen. J.D. Vance hat es geschafft, mir mit einfachen Statistiken und persönlichen Beispielen das Thema Armut in der USA näherzubringen. Ein wirklich gelungenes Buch.