Vorsehung und Schicksal in der polnischen Provinz
Der polnische Autor Małecki ist in seiner Heimat bereits eine bekannte Größe, »Beben in uns« ist sein sechster Roman, auf den ich nur zufällig aufmerksam wurde. Ich weiß immer noch nicht, ob ich das Buch ...
Der polnische Autor Małecki ist in seiner Heimat bereits eine bekannte Größe, »Beben in uns« ist sein sechster Roman, auf den ich nur zufällig aufmerksam wurde. Ich weiß immer noch nicht, ob ich das Buch bereits verdaut habe, denn es lässt mich zwiegespalten aber beeindruckt zurück. Zum einen hat er mich mit seinem Schreibstil, der manchmal etwas sehr Sprödes innehat und gleichzeitig sehr einfühlsam ist, sehr begeistert. Auch versteht er es, eine fast schon krimiwürdige Spannung einzusetzen, die mich in Kürze durch das Buch rasen ließ. Doch die Handlung des Buches ist düster und die Charaktere destruktiv und voller krimineller Energie, aber sie zogen mich förmlich in ihren Bann.
Es ist die Geschichte zweier einfacher Familien aus der polnischen Provinz, über die das Schicksal sein ganzes Elend ausgeschüttet hat. Und es ist wirklich fast unerträglich viel, was uns Małecki hier präsentiert.
Weil Jan Łabendowicz einer deutschen Frau die Hilfe bei ihrer Flucht vor der Roten Armee verweigert, wird seine Familie von ihr verflucht. Sein Sohn Wiktor kommt mit Albinismus zur Welt. Er zieht den Hass der Dorfbewohner auf sich, die ihn für alles Elend und alle Missgeschicke verantwortlich machen.
»Kurz darauf kam ein kleines farbloses Ungeheuer zur Welt. Seine Geburt dauerte dreißig Stunden und es brachte Irena, die vom Schreien keine Stimme mehr hatte, fast um. Der Junge war von den Augenbrauen bis zu den Fußnägeln weiß. Unter der Haut zeichneten sich hier und da dünne rosa Streifen ab. Janek versuchte, ihn nicht anzuschauen.
›Erwürg ihn, Janek‹, sagte Irena, während sie ihre Wange an das vom Schweiß durchnässte Kissen drückte.«
Auch die Familie von Bronek Gelda wird verflucht, weil er sich von einer Roma nicht aus der Hand lesen lassen will. Seine Tochter Emilia wird mit sechs Jahren schwerste Verbrennung am ganzen Körper erleiden nach der Explosion einer deutschen Handgranate.
Es scheint schon fast Vorsehung, dass Wiktor und Emilia, die beiden von der Gesellschaft verstoßenen, aufeinandertreffen, doch wenn man meint, die Geschichte könnte jetzt einen Funken Hoffnung vertragen, schlägt das Leben wieder in all seiner Härte zu.
»Der Mensch ist wie eine Maschine: Es gibt da irgendwelche Dinge, die dich beeinflussen, und du verhältst dich so, wie sie sich ergeben. Und das bedeutet, dass es keinen freien Willen gibt.« S.292
Małeckis Roman erstreckt sich von 1938 bis 2004 und wir folgen den zwei Familien über drei Generationen hinweg durch den Zweiten Weltkrieg, den Jahren des Sozialismus bis in die Gegenwart. Ihm gelingt es, die historischen Hintergründe mit dem Leben der Menschen in der Provinz zu verknüpfen, mit all ihren Schwächen und Fehlern, auf der Suche nach ihrem Glück. Mal macht Małecki nur Andeutungen, dann greift er den Ereignissen wieder voraus, doch immer schwebt das große Geheimnis über den Familien, das erst Sebastian ganz am Ende lösen wird.
Ich bin wirklich sehr begeistert von seinem grandiosen erzählerischen Talent, mit dem er jeder Figur seine ganz eigene Seele eingehaucht hat, sei es, dass sie ihr Schicksal nur stoisch ertragen hat oder einen Weg aus der Misere gesucht hat.
Auch wenn es stellenweise an Grausamkeit nicht zu übertreffen war und ich das Buch am liebsten in die Ecke geworfen hätte, gab es durchaus Stellen, bei denen ich schmunzeln musste. Zum Beispiel als ein paar Männer in einem Wald wochenlang Züge ausgeraubt haben, um die Sachen später zu verscherbeln. Doch als sie wiederholt auf mehrere Ladungen Herrenanzüge stießen, ihre Plünderungen einstellten.
Insgesamt war es eine sehr außergewöhnliche Lektüre, die ich als nostalgisch, grotesk und märchenhaft beschreiben würde, und die mir Lust gemacht hat, mehr von Jakub Małecki zu lesen.
Jetzt wo ich meine Rezension abgeschlossen habe und alles nochmals meine Gedanken und Emotionen passiert hat, bin ich der Ansicht, dass dieses Buch wirklich überragend gut war.