Die Vielfalt der menschlichen Gesellschaften
Schon in früheren Werken wie „Der dritte Schimpanse“ und „Arm und reich“ griff Jared Diamond immer wieder auf Erfahrungen mit Gesellschaften zurück, die heute noch so leben wie es bis vor wenigen Jahrtausenden ...
Schon in früheren Werken wie „Der dritte Schimpanse“ und „Arm und reich“ griff Jared Diamond immer wieder auf Erfahrungen mit Gesellschaften zurück, die heute noch so leben wie es bis vor wenigen Jahrtausenden für die gesamte Menschheit charakteristisch war, um so beispielsweise Hinweise auf die evolutionäre Entwicklung des Menschen zu erhalten.
Hier stehen derartige Kulturen nun im Mittelpunkt.
Im Wesentlichen stellt Diamond das Leben der traditionellen Völker dem in den von ihm als WIRED (western, educated, industrialized, rich, democratic) bezeichneten modernen Industriegesellschaften (wobei er vor allem an die USA und Europa denkt) gegenüber.
Er erklärt etwa, wie diese sich Fremden gegenüber verhalten, ihre Konflikte lösen, mit Kindern und alten Menschen umgehen und auf Gefahren reagieren. Im letzten Teil versucht er Antworten auf Fragen zu geben, die viele Menschen heute umtreiben: Warum gibt es Religionen und welche Funktionen haben sie im Lauf der Geschichte erfüllt? Wie kam es zu der großen Sprachenvielfalt auf der Erde und ist es sinnvoll, sterbende Sprachen zu retten? Und weshalb sind Krankheiten wie Krebs oder Diabetes bei Naturvölkern beinahe unbekannt?
Bei der Lektüre dieses Buches ist vor allem eindrucksvoll, wie vielfältig die Lebens- und Gesellschaftsformen sind, derer sich die Menschheit bedient. Es reicht nicht, nur von traditionell versus modern zu sprechen, selbst benachbarte Stammesgesellschaften lösen dasselbe Problem (beispielweise die richtige Erziehung der Kinder) bisweilen auf völlig unterschiedliche Weise.
Anders als es der Untertitel vermuten ließe ist es nicht die Absicht des Autors, die Lebensweise traditioneller Gesellschaften zu verherrlichen. Er verschweigt nicht, dass dort auch negative Phänomene vorkommen (beispielsweise Kindesmord oder Witwentötung) und erklärt, dass die romantische Vorstellung vom friedlichen Zusammenleben der edlen Wilden oftmals weit von der Realität entfernt ist und dass ein organisiertes Staatswesen durchaus seine Vorteile hat (wenn beispielsweise durch ein geordnetes Justizsystem Rachemorde vermieden werden).
Andererseits zeigt sich aber auch, dass unsere moderne Lebensweise in vielen Punkten nicht mit unserem evolutionären Erbe übereinstimmt (zum Beispiel unsere Ernährung oder die Art wie wir mit kleinen Kindern umgehen) und dass es Dinge gibt, bei denen wir uns (manche) Naturvölker zum Vorbild nehmen sollten (etwa Methoden zur Konfliktlösung).
In dem Buch werden Völker aus aller Welt beschrieben, besonders häufig kommen aber diverse Bewohner Neuguineas vor. Dort hat Jared Diamond selbst viel Zeit verbracht und kann daher immer wieder eigene Erlebnisse einfließen lassen. Das trägt zur Anschaulichkeit bei und macht manche Ausführungen lebendiger.
Viele Stellen sind allerdings eher trocken und wenn etwa in einem einzigen Absatz die Namen von einem halben Dutzend verschiedener Völker vorkommen, ist das eher verwirrend.
Was mir außerdem ein bisschen fehlte, war eine Art Gesamtbetrachtung der jeweiligen Gesellschaften. In jedem Kapitel wird ein bestimmter Aspekt behandelt, wenn man aber wissen möchte, wie ein Volk insgesamt lebt, müsste man sich alle diese verstreuten Informationen zusammenklauben.
Insgesamt ist dies dennoch ein sehr lesenswertes Buch. Es zeigt, dass vieles, was für uns Bewohner der ersten Welt völlig selbstverständlich und normal ist, auf große Teile der übrigen Weltbevölkerung ausgesprochen ungewöhnlich wirken muss. Außerdem legt der Autor dar, welche Änderungen an unserem Lebensstil jeder einzelne Bürger oder auch die Gesellschaft als ganzes vornehmen könnte, um gesünder und glücklicher zu werden und mehr im Einklang mit unseren natürlichen Bedürfnissen zu leben.