Cover-Bild Eine bessere Zeit
24,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Insel Verlag
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 555
  • Ersterscheinung: 25.03.2018
  • ISBN: 9783458177395
Jaume Cabré

Eine bessere Zeit

Roman
Kirsten Brandt (Übersetzer), Petra Zickmann (Übersetzer)

Er wollte sie nie, die Textilfabrik, die seit sieben Generationen den Reichtum der Gensanas bedeutete. Miquel wollte ein Leben in Barcelona, eins, das Überzeugungen folgt, nicht dem Geld. Doch mit den Jahren kamen die Niederlagen, dann die Zweifel und nun zwingt ihn der Tod eines Freundes zurückzukehren … Eine bessere Zeit erzählt vom Aufbegehren gegen die eigene Familie. Es ist ein Roman über die Kraft der Traditionen, über den Glauben an das Schöne angesichts der verlorenen Zeit – sprachgewaltig orchestriert vom Weltbestsellerautor Jaume Cabré.

Als Miquel den Bruch mit seiner Familie herbeiführt, ist er keine zwanzig Jahre alt. Zusammen mit seinem Jugendfreund beginnt er ein Studium der Literatur an der Universität in Barcelona. Doch schon bald zieht es die beiden aus Faszination für eine Frau in den antifranquistischen Untergrund und sie laden eine Schuld auf sich, die nie mehr vergeht. Als Franco stirbt und Spanien sich verwandelt, muss Miquel nach und nach zurückfinden. Zu einem Leben ohne Idealismus, zu seiner Familie und dem erdrückenden Gewicht ihrer zweihundertjährigen Geschichte …

Weitere Formate

Dieses Produkt bei deinem lokalen Buchhändler bestellen

Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.05.2018

Ein ungewöhnlicher und ungewöhnlich guter Roman.

0

„Eine bessere Zeit“ ist schon ein recht ungewöhnlicher Roman, den ich gern gelesen habe.
Definitiv kein 08/15 Familienschinken, aus vielerlei Gründen, sollte er auch nicht nach gewöhnlichen Maßstäben ...

„Eine bessere Zeit“ ist schon ein recht ungewöhnlicher Roman, den ich gern gelesen habe.
Definitiv kein 08/15 Familienschinken, aus vielerlei Gründen, sollte er auch nicht nach gewöhnlichen Maßstäben des Unterhaltungsgenres beurteilt werden.

Dieses nicht-Standarte fängt schon mit einer seinen Hauptfiguren an. Miquel, Anfang vierzig, der seine und die Geschichte(n) seiner Familie zwischen Vorspeise und Dessert erzählt, in dem Restaurant, dessen Wände über Jahrhunderte hinweg Wohnsitz seines Familienclans war, der jungen schönen Frau, die er vllt zu gern mag, um in ihr nur eine Kollegin zu sehen, ist schon ein seltener Typ. Den kann man in keine Schublade stecken. Er ist weder Held noch Antiheld. Er ist irgendetwas dazwischen, auch weil er nicht so recht weiß, was er vom Leben eigentlich will. Er hat eine Künstlerseele: Literatur, Musik spielen in seinem Leben, und im Roman insg., eine große Rolle. Er arbeitet, seinen Neigungen und seiner Expertise entsprechend, bei einem Magazin, in dem er Künstlerinterviews und Kritiken auf Konzerte, etc. veröffentlicht. Selbst künstlerisch tätig ist er nie geworden, er hatte kein Kunsthandwerk gelernt, er ist aber in diesem Milieu wie Fisch im Wasser. Das hat er, wie man im Laufe des Romans erfährt, seinen Genen zu verdanken. Miquel ist letztendlich so, wie er ist, eine Art Archetyp für die Leute dieser Art.

In seiner Familie der Textilfabrikanten gab es schon viel illustrere Typen, schon allein der Onkel ist eine unvergessliche Figur. Den habe ich gern kennengelernt. Noch weitere Familienmitglieder und ihre Geschichten sind gut dabei: Der Stammbaum samt seinen Varianten und all denen, die darin vorkommen, wurde dem Leser keineswegs vorenthalten.

Die Vielfalt an Erzählformen und ihre Handhabe ist auch alles andere als gewöhnlich: mal ist man in einer anrührenden Liebesgeschichte, und das so ziemlich oft, mal findet man sich in einem Frauenroman mit seinen obligatorischen geheimen und wiederentdeckten Tagebucheinträgen, mal liest sich der Roman wie ein sog. Coming of Age Stück, mal, und das doch recht oft, wie ein Werk der höheren Literatur. Auch mit Kontrasten und Parallelismen wurde aktiv gespielt. Aber alles passte ganz gut zusammen.

Der Roman ließ sehr gut lesen. Schon von der Sprache her, von der sichtbaren Fertigkeit des Autors, seine Geschichten packend, mit dem Leser spielend zu erzählen, war klar, dass man in keinem minderwertigen Schubladenroman steckte.

Auch dadurch, dass Cabré es schaffte, viel Stoff spielerisch zu vermitteln, damit die Leser eigenen Gedanken nachhängen und eigene Interpretationen der geschilderten Ereignisse anstellen könnten, man muss und sollte sich die Zeit und Freiheit nehmen, dies auch zu tun, ist dieses Werk etwas ganz Besonderes.

Carbé hat auch oft genug geschafft, mich im Laufe des Romans zu überraschen. Auch die Überraschungen zum Schluss waren ihm gut gelungen.

Die klassische Musik, die Stücke wurden beim Namen genannt und in den Erzählteppich eingewoben, spielte besonders im letzten Drittel eine große Rolle. Wenn man sich die Zeit nimmt und sie sich anhört, erweist es sich als eine Bereicherung. So kann man sich Miquel besser vorstellen und sich von seiner Welt verzaubern lassen. Da kommt die Freude auf, dass er nie ein Fabrikant werden wollte.

Ich finde toll, dass es solche Romane gibt und plädiere dafür, dass es sie weiterhin geben muss bzw. sie sollten aktiv den dt Lesern zuganglich gemacht werden, sonst wäre die Leserwelt ärmer, eintöniger und langweiliger. Das wollen wir doch nicht.

Den Roman ließ ich auf mich paar Tage wirken, nachdem die letzte Seite umgeblättert war. Und je mehr Zeit verging, desto stärker fiel die Wirkung aus. Ich musste feststellen, dass ich gedanklich immer wieder zu Miquel und seiner Familie zurückkehrte und zu immer neuen Interpretationen des Geschilderten gelang. Nach einer Pause lese ich den Roman bestimmt nochmals.

Der Titel passt auch gut, ist mehrdeutig, man kann den so und so auslegen, wie so vieles in diesem bemerkenswerten und auf jeden Fall lesenswerten Roman. Vier gute Sterbe gibt es von mir und eine Leseempfehlung für literarisch Interessierte.

Das Buch ist hochwertig gestaltet: Festeinband, Umschlagblatt aus festem, glattem Papier, Lesebändchen. Perfekt als Geschenk.

Fazit: Ein ungewöhnlicher und ein sehr ungewöhnlich guter Roman, der in keine Schublade passt. Wer mal was ganz anderes, Gutes und literarisch Starkes lesen möchte, der kann hier gerne zugreifen, sich dabei Zeit und Raum nehmen, und gespannt auf die Wirkung sein.




Veröffentlicht am 01.05.2018

Höchst komplex in Sprache, Stil, Aufbau - gekonnt, nur oft zu viel davon bei eher schwachem Plot

0

Miquel Gensana, aus dessen Sicht weite Teile des Romans erzählt werden, sitzt im Restaurant mit seiner jüngeren Kollegin Júlia. Dieses war einst der Familiensitz, das Haus, in dem er aufwuchs, doch das ...

Miquel Gensana, aus dessen Sicht weite Teile des Romans erzählt werden, sitzt im Restaurant mit seiner jüngeren Kollegin Júlia. Dieses war einst der Familiensitz, das Haus, in dem er aufwuchs, doch das möchte er nicht einmal zugeben. Júlia fragt Miquel nach Bolós, Josep Maria, seinem Freund seit Schulzeiten, der gerade beerdigt wurde. Und Miquel beginnt zu reden, geradezu Rechenschaft abzulegen. Er erzählt von seinem Leben, auch von den gemeinsam mit Bolós erlebten Zeiten und von der Geschichte seiner Familie.

Zwar fällt der Beginn des Lebens von Miquel in das Ende der Franco-Zeit, diese wird jedoch eher nebenbei gestreift, es geht vielmehr um die Geschichte der Familie, um die von Miquel und jene seines Onkels. Voller schöner sprachlicher Wendungen, aber auch sehr anspruchsvoll konstruiert, stark durchsetzt mit Intertextualität, auch mit Referenzen zur Musik, das beschreibt den Stil des Romans. Beginnend mit vielen Andeutungen, von denen im Laufe der Erzählungen (fast) alle aufgelöst werden – die Handlung an sich wäre eher sehr durchschnittlich, wenn sie nicht in dieser Sprache dargebracht wäre. Doch langsam.

Da wären die häufigen zeitlichen Wechsel im Roman, die diesen oft nicht leicht lesbar machen, dazu der Wechsel zwischen Erzähler in der ersten und in der dritten Person oft in einem Satz – Miquel auf Distanz gehend zu sich selbst oder der Bruch zwischen dem „inneren“ Miquel und der von außen wahrgenommenen Person? Es wird nicht aufgelöst, muss es auch nicht, ich gewöhnte mich daran. Dann gibt es die teils langen Sätze, gelegentlich mit einem Hauch von „stream of consciousness“: "Das war echte Angst; und ich stellte mir die Frage (die ich mir auch einige Jahre später stellen sollte, als ich hoch oben an der Fassade von Can Gensana in der Kletterrose hing), was, zum Teufel, hast du hier zu suchen, Miquel, du Schwachkopf, du Idiot, zielst mit deiner Kalaschnikow wie mit einem Zahnstocher auf eine Skyhawk, einen Koloss, der hinter den Bergen aufgetaucht ist und auf dich zuhält, verfluchter Narr, und du rennst in heller Panik auf die zweifelhafte Deckung zu, die dir ein nackter Felsen bieten wird, während du überlegst, mit welchen Handzeichen du dem Piloten plausibel machen könntest, dass du mit diesem Krieg nichts zu schaffen hast, verdammt noch mal, sondern nur einen kleinen Kursus absolviert und gleich wieder weg bist." S. 134

Dazwischen dann immer wieder Schönes, Treffendes: S. 496 „Die Deinen zu begraben ist ein Zeichen dafür, dass du nicht länger jung bist...“ oder auch Profaneres aus dem Leben: S. 529 „Mittelklassehotels haben eine erstaunliche Gemeinsamkeit mit Bauernhäusern. Die diversen Wandlampen sind einzig dazu gedacht, dass man überhaupt sieht. Will man sich etwas anschauen, fangen die Schwierigkeiten schon an.“ Dazu kommen viele lateinische Zitate, noch mehr französische, etliche Passagen „im Stil von“, Literatur, Filmen und Büchern der Populärkultur; das Buch ist gegliedert wie ein Musikstück, es gibt Noten im Buch, um die Musik zu erklären, weite Passagen denn auch zur Musik, zur Literatur, zur Sprachwissenschaft,...jaaaa, der Autor weiß da schon einiges. Schön. Mich hat das lange sehr amüsiert, ich erkannte amerikanische Detektive wieder, erinnerte mich an sprachwissenschaftliche Vorlesungen, kratzte mein Latein zusammen: doch halt, BRAUCHT man das? Ich unterstelle Autoren von Büchern mit vielen Verweisen zwar, dass sie wissen, wovon sie schreiben – aber halt auch, dass sie es gerne sehen, wenn das auch alle anderen unbedingt wissen.

Dann die vielen Andeutungen – hat jemand noch so Verwandte oder Bekannte, die zu Besuch kommen, durch Wohnung oder Garten schreiten und dann so einen bedeutungsschwangeren Blick aufsetzen, am besten den Zeigefinger erheben und sagen: „Weißt du...was du tun musst, damit deine Rosen richtig wachsen, um den Kuchen richtig toll zu machen, um...“. Ich habe irgendwann gelesen, jede Kritik beruhe auf der Kernaussage „du bist nicht ich“. So in etwa schreitet der Roman voran: große Ankündigung „das große Geheimnis von Pilar“, dann viel viel Text, Zeitwechsel, Aufklärung – und man will es gar nicht mehr wissen, ahnte es schon. Mehrfach. Besserwisser.

Der Originaltitel bedeutet übrigens „Der Schatten des Eunuchen“ - Miquel zitiert auf S 464 Steiner: "Wenn der Kritiker sich umsieht, erblickt er den Schatten eines Eunuchen." ah, sein eigener Schatten, weil er quasi nicht zeugungsfähig ist, selbst keine Kunst schaffen kann, von außen zusieht. Das ist durchaus wichtig, denn lange Seiten nennt Miquel sich den Unfruchtbaren, den Sterilen, und meint dann doch nur dieses. Er, der Liebhaber der Künste, kann selbst nicht künstlerisch tätig sein, nur als Kritiker arbeiten. Irgendwie sah ich da Parallelen zu seinem generellen Ansatz zu leben. Beobachten, analysieren, passiv sein.

Überhaupt, Parallelen: ich empfinde eine gewisse Parallelität zwischen den Erlebnissen bei Maurici und Miquel, dadurch treten für mich Unterschiede und Gemeinsamkeiten besser hervor. Also Miquels Leben im Untergrund - Mauricis heimliche Liebe. Beide im Bruch mit der Familie. Beide anscheinend Rückkehrer - wenn auch nicht so ganz und nicht ganz mit dem Herzen, beide positiver eingestellt zu den Frauen der Familie (die sind bislang eher Nebenrollen). Beide hinsichtlich intellektueller Neigungen vielfältig bis unentschlossen, beide gehen nicht in die Fabrik, wollen eher keine praktische oder kaufmännische Arbeit. Beide werden von ihren Wahlfamilien in lebensverlängernde Situationen gebracht ( bzw in solche, die die gesamte Einstellung verändern). Das ist ganz schön, aber auch ganz schön viel, selbst für etwas über 500 Seiten.

Fazit: ein sehr bewusst literarischer und anspruchsvoll zu lesender Roman, dessen eigentliche Grundhandlung meist wenig Neues bietet. Mir etwas „zu viel“ des Guten, tut mir leid. Der Abschnitt „Der Zweite Satz“ hätte allein 5 Sterne bekommen. So lande ich mühselig auf 3 ½ Sternen, runde aber im Vergleich zu einigen der anderen Rezensionen an anderer Stelle für 3 Sterne (die mich aufgeregt haben) auf auf 4 Sterne.


Mögliches Folgebuch: Delphine de Vigan: Nach einer wahren Geschichte (auch sehr hohe Intertextualität, die mich dort aber deutlich stärker nervte; aber sehr viele lieben dieses Buch)