Es war nie langweilig
Wie soll ich so ein Buch besprechen? Autorin Jeannette Walls beschreibt ihre eigene Kindheit, als zweites von vier Kindern von Eltern, die einen sehr anderen Lebensstil pflegten. Die Mutter hatte eine ...
Wie soll ich so ein Buch besprechen? Autorin Jeannette Walls beschreibt ihre eigene Kindheit, als zweites von vier Kindern von Eltern, die einen sehr anderen Lebensstil pflegten. Die Mutter hatte eine durch ihre eigene Mutter aufgezwungene Ausbildung zur Lehrerin, sah sich aber als bildende Künstlerin und trug nur unter großem Druck zum Lebensunterhalt der Familie bei. Der Vater trank, konnte keinen Job sehr lange behalten, hatte dabei aber hochfliegende Pläne wie den Bau des titelgebenden Schlosses aus Glas für die Familie. Die Eltern war so voller Träume und Ideen, wie Familienkasse und Mägen der Kinder meist leer waren.
Ich bin auf dieses Interview des jüngeren Bruders Brian gestoßen https://www.youtube.com/watch?v=enRzP7IGUME
Er erwähnt, dass er hauptsächlich die Fehler des Vaters sah, während seine Schwester ihn als den ersten Menschen wahrnahm, der an sie glaubte. Diese unterschiedliche Sicht der Geschwister spiegelt meine Reaktion auf den Roman wider, ich bin gleichzeitig entsetzt und angezogen. Die Kinder suchen teils im Müll nach Essen, haben aber diesen unglaublichen Zusammenhalt untereinander. Die Eltern und besonders die Schulden des Vaters nötigen die Familie immer wieder zu Umzügen, aber dennoch eignen sich die Heranwachsenden eine Bildung an. Der Vater zerlegt im Suff die Einrichtung, riskiert die Gesundheit seines Nachwuchses und liest sich parallel durch alle Bücher aus der Ausbildung seiner Tochter Jeannette.
Mich hat es fast „beruhigt“ zu lesen, dass der Vater neben dem Alkoholismus wohl bipolar gewesen ist, nicht einfach nur, was, nachlässig? Unzuverlässig? Eine Gefährdung für das Kindswohl? Was ist eine Mutter, die heimlich Schokolade isst, während die Mägen ihrer Kinder leer sind? Reicht das als Grund, während andere Eltern mit psychischen Problemen es hinbekommen? Oder spielte das, was man über die Großeltern erfährt, noch mit hinein? Ebenso schockierend aber auch „das System“, das sich eher nicht meldet zum Wohle der Kinder, während die „braven Bürger“ den „Läusekindern“ nur Ablehnung entgegenbringen. Selbst eine zarte Freundschaft der Erzählerin versandet, weil im letzten gemeinsamen Wohnort eine Freundschaft über die Rassengrenzen hinaus nicht möglich ist.
Umso beachtlicher, dass Walls inzwischen die Vermieterin ihrer Mutter ist – der Wohnstil scheint sich bei der Mutter nicht geändert zu haben.
https://www.nytimes.com/2013/05/26/magazine/how-jeannette-walls-spins-good-stories-out-of-bad-memories.html
Und auch die Mutter scheint und schien einfach schon nicht für sich selbst sorgen zu können, geschweige denn für Kinder.
5 Sterne, aber keine einfache Lektüre. Ich brauchte zwischendurch einige Tage Pause.
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