Marmor, Stein und Eisen bricht...
Liebe und Freundschaft leider auch: es ist hart, jung zu sein in den späten 1970ern, in einer Zeit, in der für Eltern und Großeltern Krieg und Verlust noch mehr als lebendig sind, der Zeit des wirklich ...
Liebe und Freundschaft leider auch: es ist hart, jung zu sein in den späten 1970ern, in einer Zeit, in der für Eltern und Großeltern Krieg und Verlust noch mehr als lebendig sind, der Zeit des wirklich und wahrhaftig eisKalten Krieges, der jeden Tag losgehen konnte... und der Zeit des Krieges in Deutschland. Ja, dieses Buch spielt im Jahr des deutschen Herbstes, in dem viele von uns, die damals jung waren, ein Stück erwachsener wurden. Wer sich zurückversetzen will in diese schwierige und doch so lebendige Zeit, der kommt um dieses Buch nicht drumherum.
Sommer und Herbst 1977: Erzählt wird aus der Perspektive des 13jährigen Johann, der liebt : schmerzvoll und seit langer Zeit. Objekt seiner Begierde ist die Nachbarstochter Tilda, schon fünfzehn, die mit ihm den Molly macht - ihn springen lässt, wie es ihr beliebt... und auch ihrerseits verliebt ist, nur nicht in Johann, sondern in den gleichaltrigen Sebastian.
Eine Dreiecksgeschichte voller seltsamer Begierden, Entwicklungen, Ränke und Hoffnungen - und immer schwebt der Zeitgeist über allem. Andreas Baader - Bedrohung oder fast Pop-Star? So unterschiedlich sind die Wahrnehmungen der Akteure, aber auch diese ändern sich von Tag zu Tag - man ist schließlich in der Pubertät, da darf man das.
Was Jelle Behnert hier schreibt, das trifft ganz, ganz tief ins Mark - mich jedenfalls. Es schockiert, macht betroffen, befangen, erheitert, verblüfft, verärgert, verstört... und lässt vor allem Erinnerungen an eine längst vergangen geglaubte Zeit aufkommen, eine Zeit der Unsicherheit, der inneren Unruhe, unendlich vieler Ängste - aber auch an eine Zeit der Hoffnungen: das Leben lag ja noch vor einem.
Richtig, auch ich war 13 in diesem schicksalhaften Jahr 1977, was das Buch für mich ganz besonders ergreifend, begreifend und zugreifend werden lässt ... doch ich bin sicher, es lässt keinen so ganz kalt. Es polarisiert unendlich und Jelle Behnerts Sprache, die mich tief berührt, mag auf andere abstoßend wirken. Doch das ist wahre Literatur, die lange, lange in mir nachwirken wird, mit der ich leben werde.
Warum dann keine bedingungslose Begeisterung von meiner Seite - ganz einfach: es waren Kleinigkeiten, die nicht ganz reinpassten, nichtsdestotrotz mein Lesevergnügen aber ein wenig hemmten - unzeitgemäße Begriffe wie "Cliffhanger", die 1977 im deutschen Sprachraum sicher noch nicht verwendet wurden, Unstimmigkeiten in bezug auf Johanns Alter, dies und das eben - nichts Großes, aber es summierte sich halt.
Trotzdem ein Buch, was ich vor allem der in den 1960ern geborenen Generation ans Herz legen möchte, aber auch allen anderen, die sich mal wieder wachrütteln, nein: die sich so richtig durchrütteln lassen wollen von einem ungewöhnlichen Stück deutscher Literatur.