Vielversprechender Auftakt
"Crossroads" beginnt im Dezember des Jahres 1971 im suburbanen Chicago. Der Einfluss des Vietnamkrieges treibt große Teile der amerikanischen Jugend in die Drogensucht, lässt aber auch eine enorme Anzahl ...
"Crossroads" beginnt im Dezember des Jahres 1971 im suburbanen Chicago. Der Einfluss des Vietnamkrieges treibt große Teile der amerikanischen Jugend in die Drogensucht, lässt aber auch eine enorme Anzahl in der Religion Zuflucht finden. Franzen siedelt sein neuestes Werk im Umfeld der First Reformed Church an und führt uns durch die Augen einer vielköpfigen Pfarrersfamilie blickend, mitten hinein in eine protestantische Jugendgruppe mit dem Namen "Crossroads".
Familienvater Russ ist Pastor sowie Gründer jener Jugendgruppe, einige seiner Kinder aktive Mitglieder - Spannungen innerhalb der Familie sind also unumgänglich. Doch auch Modernisierungsgedanken der jungen amerikanischen Gesellschaft wirken ins Gemeindeleben hinein und schlagen zunehmend Wellen im Kirchenkreis.
Franzen lässt seine Figuren allesamt auf dem schmalen Grat zwischen theologischen Lehren und gesellschaftlichem Abbild der Zeit hin- und herwandeln, durchzieht seinen Trilogieauftakt mit gesellschaftlichen Themenkomplexen, die das Buch krass gut aufpeppen - ein bisschen Sex, Love & Rock'n'Roll in Kirchenkreisen quasi.
Erzählt wird aus der Perspektive einer (fast) ganzen Familie; Eltern und Kinder kommen immer abwechselnd zur Sprache, werden auf mehr als 800 Seiten wirklich tiefgründig und realistisch ausgearbeitet - wenngleich nicht immer unbedingt sympathisch. Jedes Mitglied dieser komplett dysfunktionalen und immer stärker auseinanderbrechenden Familie durchlebt im Roman seine Identitätskrise, alle Mitglieder kämpfen zuweilen mit der Loslösung vom Glauben und dem Festhalten an dem, was Glaube zu geben vermag. Jugendliches Ausprobieren und das Ausreizen der gesetzten Normen - Franzen lockert das eingefangene Zeitgefühl geschickt mit hier einer Fehde, da einer Krise auf, gibt einen interessanten Einblick in die Kirchenarbeit mit Jugendlichen, führt aber am Rande auch Themen wie die Misere der Kriegslotterie auf und zeigt die Sorgen und Nöte der amerikanischen Jugend zu einer unsteten Zeit. Ein ungeheuerlich breiter Themenkomplex wird also abgedeckt, und während jedes Familienmitglied sein eigenes Dilemma durchlebt und mit moralischen Idealen inmitten sündhafter Lebensstile kämpft, werden die Lebensentwürfe des Einen durch die des Anderen durchkreuzt.
Ich glaube, ein 800-Seiten starkes Buch kann nie durchgehend gleich stark fesseln; unterhalten hat es mich jedoch durch und durch positiv. Aber obgleich des sehr gut ausgearbeiteten und in sich wunderbar stimmigen Plots lief die Story für meinen Geschmack doch ein Mü zu ereignislos daher.