Irre stark!
Adam Petrazelli, 16 Jahre, ist seit kurzem schizophren. Mit den üblichen Mitteln lassen sich die Symptome nicht abstellen. Also richtet es sein Stiefvater Paul, ein unerschütterlicher, erfolgreicher Anwalt, ...
Adam Petrazelli, 16 Jahre, ist seit kurzem schizophren. Mit den üblichen Mitteln lassen sich die Symptome nicht abstellen. Also richtet es sein Stiefvater Paul, ein unerschütterlicher, erfolgreicher Anwalt, ein, dass Adam an einer experimentellen Medikamentenstudie mit begleitender Therapie teilnehmen kann. Jeden Mittwoch muss er nun in Therapie, aber Adam weigert sich mit dem Doc zu sprechen. Er hört sich seine Fragen eine Stunde lang an, schweigt und schreibt seine Antworten und Erlebnisse für ihn auf. Zudem wechselt Adam die Schule, da seine ehemaligen Freunde nun Angst vor ihm haben. Nun besucht er als „der Neue“ die katholische St. Agatha Schule, wo die meisten sich bereits seit dem Kindergarten kennen. Sein ihm zugeteilter Schulpate Ian, entpuppt sich innerhalb nach 5 Minuten als A. und Maya, das schönste Mädchen, das er je gesehen hat, zeigt ihm dann denn Weg zum Klassenraum. In der Klasse nimmt er den erstbesten Platz ein und landet neben dem uncoolen, schlauen Dauerquassler Dwight. In Adams Therapietagebuch lernt man nicht nur seine immer wiederkehrenden Halluzinationsbegleiter kennen und folgt den Dosissteigerungen und Nebenwirkungen, sondern erlebt auch, dass Maya und Dwight für Adam ein echter Glücksfall sind.
Wenn Deine Freunde plötzlich Angst vor Dir haben und Du Dir selbst nicht mehr traust, dann greifst Du nach jedem Strohhalm! So nimmt Adam an der Medikamentenstudie teil und wechselt auf eine Schule, auf der niemand ihn und seine Diagnose kennt. Wer hat schon groß Ahnung von paranoider Schizophrenie? Das sind doch die gefährlichen Verrückten, die Amok laufen, und vor denen man sich fürchten muss! Doch stimmt das? Wie fühlt sich das an und was bedeutet es für die Betroffenen? Das kann man ganz eindrücklich aus Adams Quasi-Tagebuch erfahren. Während Bridget Jones fürchtet als alte Jungfer einsam und verlassen zu sterben und den Hunden zum Fraß zu fallen, fürchtet Adam ein Ende in Armut und Obdachlosigkeit. Denn was soll aus einem Menschen werden, der sich und seinen eigenen Sinnen nicht traut? Jemand, der nicht weiß was real und was Halluzination ist? Jemand der sein Leben lang auf starke Medikamente mit zum Teil heftigen Nebenwirkungen angewiesen sein wird? Diese Sorge hat mich etwas verblüfft, aber nicht lange, denn als ich darüber nachdachte, musste ich ihm recht geben. Tatsächlich leiden viele Obdachlose unter Schizophrenie, bzw. werden Schizophrene obdachlos. Woran das liegt? An der Hilflosigkeit ihrer Familien im Umgang mit dieser Krankheit? An der Unverträglichkeit der Medikamente, deren heimliches Absetzen die Nebenwirkungen abstellt, die Schübe aber zurückkehren lässt? Keine Ahnung, aber diese Krankheit ist gnadenlos, da nicht heilbar und mit einem schlechten Image behaftet. Mit Krebspatienten hat man Mitleid, vor den gefährlichen Irren fürchtet man sich. Es ist ein Stigma und so wundert es nicht, dass Adam, als er jemanden trifft, der ihm wirklich was bedeutet, die Wahrheit über sich nicht verrät. Aus Angst vor den Folgen, weil er nicht glauben kann, dass es Menschen geben kann, die ihn so nehmen wie er ist. Das macht ihn misstrauisch. Allenfalls seiner Mutter traut er zu, ihntrotz allem zu lieben, dabei wäre es doch sicher auch für sie besser, wenn es ihn nicht gäbe. Wenn er es mit sich selbst nicht aushält, wie soll das anderen denn gelingen? Manchmal hält er Selbstmord für die einzige Lösung, doch das kann er seiner Mutter nicht antun. Dank des neuen Medikaments scheint er sein Leben wieder zurückzubekommen, doch so ganz traut er dem sich langsam einstellenden Glück nicht und da kommen auch schon Zweifel an der Wirksamkeit und der Gefahr der Nebenwirkungen auf!
Adam hat Pech, denn mit 16 tritt diese Krankheit normalerweise noch nicht auf, selbst bei bestehender Disposition nicht. Es gibt Menschen mit dieser Disposition, da tritt sie nie zu Tage, bei anderen tritt sie erstmals nach erstmaligem Drogenmissbrauch (ja, auch bei „weichen“ Drogen, das steht jetzt nicht im Text, das ist meine berufliche Erfahrung) auf. Es ist wie eine tickende Zeitbombe im Körper, von der man keine Ahnung hat, mit unvorstellbaren Folgen. Adam kennt den Auslöser nicht, es ist einfach so passiert. Aber er stellt die Stimmen und Personen vor, die nur ihn persönlich begleiten und das Leben teils zur Hölle machen. Das ist absolut bewegend und irgendwie erschütternd, aber auch witzig. Denn Adam erzählt mit einer gewissen Distanz zu sich und seinem Leben. Doch wenn es um die winzige Maya geht, weicht sie manchmal auf. Dabei ist Maya selbst zwar klein und zart, aber alles andere als ein liebes Püppchen, sondern rein rational, analytisch. Dwight ist schräg, aber ihm ist es egal, er ist wie er ist, Punkt. Mit dieser Einstellung hat er mich schon ganz schnell erobert, ebenso wie Maya mit ihrer Warnung vor Ian, dem Sohn eines der einflussreichsten Gönner der Schule. Man lernt sie aus Adams Sicht kennen, der in Ich-Form die Fragen seines Therapeuten beantwortet. Der Therapeut kommt kaum zu Wort, doch Gerhard Garbers nennt in jeder Sitzung die aktuelle Dosierung und so verfolgt man, wie sie stetig steigt und fragt sich, ob bei ihm eine Gewöhnung eintritt? Jeder Track ist so lange, wie Adams Aufzeichnungen pro Sitzung. Dadurch sind sie bisweilen ziemlich lang, zu lang für meinen Geschmack, da die Hörspielfunktion nicht immer funktioniert. Doch der Inhalt und sein Sprecher haben mich so gepackt, dass ich es in Kauf genommen habe. Jonas Minthe nehme ich die 16 Jahre locker ab. Er reflektiert schonungslos, aber einfühlsam, was um ihn herum vorgeht. Dabei scheint er kein Blatt vor den Mund zu nehmen und macht auch die jeweiligen Stimmungsschwankungen hörbar. Sein Glück, an das er nicht glauben mag und seine Schicksalsgemeinschaft mit Dwight, der einfach zufällig am ersten Tag in der ersten Stunde da war, weil der Platz neben ihm frei war.... Er erzählt so direkt und unmittelbar, dass ich beim Hören die Blumen mit Salzwasser goß, als alles versagte. Damit hatte ich so in dieser Klarheit nicht gerechnet. Dabei gibt es kein direktes Ende, denn Adam ist ja erst 16, aber es gibt eine neue Einstellung bei Adam, der lernen muss Dinge zu akzeptieren, mit denen er so nie gerechnet hat und dass Menschen bisweilen ganz anders reagieren, als er es erwartet hat. Nein, es ist kein strahlendes Happy End, der Schulchor singt nicht für ihn, aber Adam hat dennoch gelernt sich zu akzeptieren und nicht aufzugeben. Richtig stark, das geht ins Ohr, direkt unter die Haut! Absolut Hörenswert! Dabei nie kitschig!